Rainer Kohlmayer Zitate
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„Freiheit von Forschung und Lehre.“ – „Wie bitte? Freiheit wovon?“
Transparenz, fadenscheinig. – Auf dunklen Wegen an die Macht Gekommene plädieren immer sofort für Transparenz. Sie stoßen die Leiter weg, der sie ihren Aufstieg verdanken.
Wahlkampf. – Schmunzelnd stehen glattrasierte Politiker im Blickpunkt der Öffentlichkeit und lenken den Massenverkehr in bunt ausgeschilderte Sackgassen um.
Dialogfetzen. – „Hast du einen Mann?!“ – „Nicht nur einen. Ich hasse alle!“
Dumm, aber wahr. – Jugend schützt vor Alter nicht. Alter schützt vor Jugend nicht.
Immer der Nase nach. – „Wie kommen Sie bloß auf so verrückte Gedanken?“ – „Ich gehe ihnen nicht aus dem Weg.“
Recycling. – Vom Leichnam der großen Religionen nähren sich die fetten literarischen Maden.
Causa finita. – Wenn ein Glaube zur Staatsreligion geworden ist, braucht er keine Berge mehr zu versetzen. Er begnügt sich damit, die Geographen zu verbannen.
Bis zum Beweis des Gegenteils. – „Wenn ich allein bin, bin ich der bescheidenste Mensch“, notierte er in sein Tagebuch.
Fetter Saufsack: Promilltonne, Promillschlucker.
Kaltblütige Karrierekalkulation. – „Nullen, die hinter mir stehen, verzehnfachen mich. Eine Eins, die vor mir steht, dezimiert mich.“
Literarischer Ruhestand des Politikers. – Reden war Silber. Schreiben bringt Gold.
Schule der Nationalisten. – Uniformiert und uninformiert.
Wer einen leeren Kopf hat, hat Platz. Er kann den Mund voller nehmen.
Beweis. – „Autoritärer Kerl! Stimmt mir einfach nicht zu!“
Don Juans Grabinschrift. – „In jeder Beziehung treu.“
Hallo! – Er lüftete die Perücke, wie Hutträger den Hut lüften. Dadurch wurden seine Grüße immer als besonders persönliche Zuwendung empfunden. Nur Frauen und Kinder erschraken gelegentlich.
Guter Rat an einen Misanthropen. – „Schonen Sie die Umwelt: Bleiben Sie heute zuhause.“
Alles versoffen: Promillionär.
Cogito ergo sum auf Deutsch? – „Die Selbstreflexion des Subjekts erzeugt denknotwendig die mentale Präsenz der Existenzgewissheit des mit sich selbst identischen Subjekts.“
Nachruf auf einen Wissenschaftler. – Er verzichtete auf seine Biographie zugunsten seiner Bibliographie.
Zahlreiche Erfolge bei der Olympiade. – Statt an Kinder, Kirche, Küche denken die deutschen Frauen jetzt nur an Gold, Silber und Bronze. Sie sind anscheinend immer noch gedopt.
Zwei Arten von Karriere: a) Wissenschafftler. b) Wissenschuftler.
Die Berechenbarkeit des Nonkonformisten. – Sobald er Rückenwind spürt, wechselt er die Laufrichtung.
Konventionsverstoß. – Er warf ihm den Fehdehandschuh hin. Der andere warf ihm die Perücke vor die Füße. Ratlos blickten sie einander an.
Hochzeitsreisen. – Die meisten Eheleute leben in der inneren Emigration.
Die Wende. – Proleten aller Länder – verpißt euch.
Literatur-Wissenschaft. – Dionysos in der Ausnüchterungszelle.
Er drückte sich vor dem offenen ins gedruckte Wort. Wer den Druck der Welt nicht aushält, kann sich in der Welt des Druckes austoben.
Effi Briest. – „Sach mal, kannste mir vielleich sachn, also ick hab det janze Buch durchjelesn, aber – janz ehrlich – ick weeß immer noch nich, wat ‚briesen‘ bedeutet…“
Bürgerlicher Gehorsam. – Druck von unten erzeugt Druck von oben.
Lippendienst. – Der subalterne Verwaltungsbeamte beschloß, jeden Tag wenigstens einmal zu lügen – als Lippendienst an der Freiheit.
Perspektive des Pedanten. – „Die Tasten einer einzigen Schreibmaschine genügen, die gesamte Weltliteratur zu produzieren.“ Ähnlich gehen Linguisten manchmal mit der Literatur um.
Sex-Appeal des Anarchismus: Ohne Oben.
Sicheres Versteck. – Es gibt Menschen, die ihre Perücke unter einer Glatze tragen.
Akademische Tiefspringer. – Es gibt Theorien, die ihre Verbreitung und Beliebtheit dem Umstand verdanken, daß sie die Meßlatte nicht höher, sondern tiefer legen. Die Kurzbeinigen jubeln.
Nachruf auf Oscar Wilde. – Gib einem Menschen die Möglichkeit, sich zu verwirklichen, und er wird mit aller Gewalt danach streben, unterzugehen.
Bitte hinten anstellen. – Der Dümmere leidet, wenn er Klügeren nachgeordnet wird. Der Klügere leidet, wenn ihm Dümmere vorgesetzt werden.
Stilfigur. – „It’s nice to be important, but it’s more important to be nice.“ Eine hübsche Studentin übersetzte: „Es ist schön, wichtig zu sein, aber es ist wichtiger, schön zu sein.“
Drei Kleinigkeiten sprechen – trotz strukturalistischer und poststrukturalistischer Subjektauflösung – für die Beibehaltung eines individualistischen Subjektbegriffs. Erstens, jedes Hirn ist einmalig; zweitens, jeder Körper ist einmalig; drittens, jede Biographie ist einmalig.
Fifty-Fifty. – Das Jesuswort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ wurde von den staatlichen und kirchlichen Autoritäten früherer Jahrhunderte meist so interpretiert, daß der Einzelmensch möglichst gar nichts mehr behalten sollte.
Tabu. – Das sogenannte Selbstverständliche ist die vorlaute Antwort auf Fragen, die man nicht stellen darf.
Warum ist der Papst so schweigsam? „Er hat Ex-Kommunikationsprobleme.“
Macho beim Kauf einer neuen Küche: „Meine Lebensgefährtin braucht mehr Spülraum.“
Dem Aphoristiker ist jedes Sprichwort sanierungsbedürftig.
Aphorismus. – Das Stoßgebet des Atheisten. Der Geistesblitz, der eine fromme Illusion erschlägt.
Manche Bestseller ähneln Retortenbabys: Die Elternschaft ist außerordentlich unklar. Aber es steckt viel Aktivität dahinter – und die Bedürftigen stehen Schlange.
Wissenschaftliche Ortsbestimmung eines Kollegen. – Hinterm Mond in der Mitte.
Keine Loge für Philo-logen. – Es gibt Seilschaften verschiedenster Interessen, aber keine für die Wissenschaft.
Loreley in der Fußgängerzone. – „Sie hatte einen so aufreizenden Schaukelgang, daß man sehkrank wurde.“