Rainer Kohlmayer Zitate
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Kunst geht nach Brot. – In einer Zeit, wo alles dem Geld hinterher rennt, ist die Tatsache, daß die Kunst nach Brot „geht“, ein letztes Signal von Würde und Protest.
Wie kann man „in Hülle und Fülle“ steigern? – „In Fülle ohne Hülle.“
Flurbereinigung. – Der Glaube versetzt Berge. Und hinterläßt Krater.
Je forscher die Lehre, desto leerer die Forschung.
Korrektur. – Viele „Prof. Dr. phil.“ müßten eigentlich „Prof. Dr. filz“ geschrieben werden.
Der Redakteur bezeichnete seine Freundin als Wochenendbeilage: Hochglanz, anregend, unverbindlich.
Diskreter orthographischer Hinweis auf die Bestechlichkeit von Parteimitgliedern. – „Werden auch Sie Mietglied der Fortschrittspartei!“
Wer bestimmt hier? – Etwas, zum Beispiel ein Panzer oder ein Flugzeug, wird „seiner Bestimmung“ übergeben. Welcher „Bestimmung“? „Seiner“. Schlau gesagt! Man verlagert das Kommando ins Objekt.
Die vierte Gewalt? – Legislative, Exekutive, Jurisdiktion und – Finanz.
Halluzinationen. – Der Junkie war so süchtig, daß er statt „Herein“ immer „Heroin“ zu hören glaubte.
Die Karrieristen des Nationalsozialismus hätten auch ohne diesen Karriere gemacht. Die Menge an persönlicher Bosheit und Dummheit der Menschen scheint immer etwa gleich groß bleiben zu müssen.
Die Vokale sind die Augen, durch die das Wort dich anblickt. Ein Wort, dem der Vokal fehlt, ist blind geworden. Ja, blnd gwrdn.
Viele Politiker standen schon vor der Wahl, zurückzutreten oder zurückzutreten. Die einen haben erst zurückgetreten und sind dann zurückgetreten. Die andern sind erst zurückgetreten und haben dann zurückgetreten.
Die Gattung der Komödie entstand, als die Anarchie entprivatisiert wurde.
Casanovas marktwirtschaftliche Ausrede. – „Die empfindliche Lücke.“
Wo soll hier ein Druckfehler sein? – „Prof. Dr. Müller, seit vielen Jahren Lehnstuhlinhaber an unsrer Universität“.
Variante zu Friedrich Schlegel, Fragment 12. – „In dem, was man Sprachwissenschaft nennt, fehlt gewöhnlich eines von beiden: Entweder die Wissenschaft oder die Sprache.“
Meiner Meinung nach. – Das lockere Wörtchen „Meinung“ hat, im Gegensatz zur strengeren „Wahrheit“, eine dunkle Vorliebe für das Possessivpronomen. Ob zwischen „Meinung“ und „mein“ nicht gar eine inzestuöse Verbindung besteht?
Kunstmarkt. – „Mache ich Kunst gegen den Strich oder auf dem Strich“, fragt sich der Künstler gewissenhaft. Der Markt der Massengesellschaft ist egalitär genug, um beide Alternativen zu ermöglichen. Denn – es sind keine mehr.
Regietheater. – Jahrelang hat man die Klassiker interpretiert. Jetzt kommt es darauf an, sie zu verändern.
Aus der Nähe wird alles tragisch. Aus der Vogelperspektive wird alles komisch. Aus der Fernsehperspektive wird alles gleichgültig.
Konstruktionsfehler. – Das Hirn ist immer auf der Flucht. Die Beine sind evolutionäre Bremsen.
So oder so. – Es gibt zwei Richtungen der modernen Übersetzungswissenschaft. Die eine behauptet, um richtig übersetzen zu können, müsse der Mensch eine Maschine sein. Die andere: Um richtig übersetzen zu können, müsse die Maschine ein Mensch sein.
Psychiatrie. – Das schlechte Gewissen der Gesellschaft ist zahm und respektabel geworden, seit es einen schönen griechischen Namen bekommen hat.
Titel für eine Festschrift. – „Immer in Eile – und immer in die falsche Richtung.“
Wer nicht schreien darf, wird schreiben. Wer nicht schreiben kann, wird schreien.
Ehrlicher Philosoph. – „Ich denke. Also lebe ich nicht.“
Alles eine Frage der Routine. – Das Problem, ob Denken ohne Sprache möglich sei, ist immer noch umstritten. Dagegen wird die Tatsache, daß Sprache ohne Denken durchaus möglich ist, täglich tausendfach bewiesen.
Double. – A und B galten als gute Freunde. Nach dem Tod von A stellte sich jedoch heraus, daß B nichts als die Perücke von A war. Eine Zeitlang wurde der Perückenausweis obligatorisch.
Retortenbabys. – Heutzutage hat jede Frau das Recht auf unbefleckte Empfängnis.
Welcher Zusammenhang besteht wohl zwischen Gebetsmühlen und Schallplatten?
Heimweh des Ungarndeutschen. – Statt „Budapest“ las er immer „Bundespost“.
Stilkritik. – Es gibt Formulierungen, denen man die stilistische Perücke abnehmen muß, um die Nichtigkeit des Gedankens zu beweisen.
Vom Nazismus zum Narzißmus. – Die Großväter verstecken die Vergangenheit (no past). Die Enkel verzichten auf die Zukunft (no future).
Ladendiebstahl. – Wer Ladeninhaber bestehlen will, begeht Ladendiebstahl. Wer Kunden bestehlen will, begeht Preiserhöhungen.
Kummer des Demokraten. – „Ich wäre viel höflicher, wenn da nicht diese störende Etymologie des Wortes „höflich“ wäre. Warum können „vulgär“ und „höflich“ nicht die Bedeutungen tauschen?“
Im Rampenlicht. – Die englische Sprache hat für „handeln“ und „schauspielern“ ein und dasselbe Wort: „to act“. Ein gelungenes Bonmot auf die Politiker des Fernsehzeitalters.
Dialektik. – Da er sich nach jahrelanger Forschung und Lehre nur noch in seinem Fachjargon fließend ausdrücken konnte, sah er sich gezwungen, für seine Alltagsgespräche einen Kommunikationsexperten zu Rate zu ziehen.
Feministin beim Singen der Hymne an die Freude. – „Alle Männchen werden Brüter…“
Orientierung. – Wer nach Wahrheit strebt, hat alle gegen sich. Wer zu den Quellen will, muß gegen den Strom schwimmen.
Poetische Triebsublimierung. – Der Wortpflanzungstrieb.
Paradigmenwechsel. – „Grundlegend neue und allgemeine Theorie“, verkündete ein philosophischer Leithammel. „Gemeine Theorie“, echoten die Böcke. „Meine Theorie“, bestätigten die Schafe. „Eine Theorie“, blökten die Lämmer.
Lyrikwettbewerb. – Nachwuchspoeten, um die Gunst der Kritiker und Lektoren buhlend – auf dem literarischen Babystrich.
Die beiden verstehen sich. – Zwischen „verliebt“ und „verheiratet“ besteht ein ähnlich großer Unterschied wie zwischen „kopiert“ und „kapiert“.
Literatur und Literaturvorlesung. – Dort die Rohkost, hier das Verdaute. Welches Menu empfehlen Sie mir?
Wie, du hast dich noch nie verirrt? Du weißt also gar nicht, wo du wohnst!
Das muß in Fleisch und Blut übergehn. – Jahrelang hatte er brav sein Begriffsheu geschluckt und wiedergekäut. „Jetzt hab ich endlich Examen“, muhte er.
Langue & parole bzw. Monica & Hillary. – Die Zungenfertigkeiten der Hetäre und die der Intellektuellen: Bitte niemals das eine durch das andere verdrängen.
Kalte Höflichkeit. – Er verwechselte Anstand mit Abstand.
Aphoristiker opfern das ganze Wetter für einen einzigen Blitz.