Marie von Ebner-Eschenbach Zitate
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Man kann sich nicht im Besitz von eigentlich unveräußerlichen Gütern befinden, ohne etwas von seinem Rechtssinn einzubüßen.
Schrittweises Zurückweichen ist oft schlimmer als ein Sturz.
Die Erfolge des Tages gehören der verwegenen Mittelmäßigkeit.
Welch ein Unterschied liegt darin, wie man’s macht, und wie sich’s macht!
Der Pfennig der Witwe wird von der Kirche dankbar quittiert. Willst du gleichen Lohn empfangen im Tempel der Kunst, dann sei ein Krösus und bringe dein Hab und Gut.
Mißtraue deinem Urteil, sobald du darin den Schatten eines persönlichen Motivs entdecken kannst.
Die Langeweile, die in manchem Buche herrscht, gereicht ihm zum Heil; die Kritik, die schon ihren Speer erhoben hatte, schläft ein, bevor sie ihn geschleudert hat.
Die Kritik ist von geringer Qualität, die meint, ein Kunstwerk nur dann richtig beurteilen zu können, wenn sie die Verhältnisse kennt, unter denen es entstanden ist.
Demut ist Unverwundbarkeit.
Das edle: Ich will! hat keinen schlimmeren Feind als das feige, selbstbetrügerische: Ja, wenn ich wollte!
Fortwährendem Entbehren folgt Stumpfheit ebenso gewiß wie übermäßigem Genuß.
Ein Urteil läßt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil.
Manche Menschen haben ein Herz von Eisen und drin ein Fleckchen so weich wie Brei.
Wieviel Bewegung wird hervorgebracht durch das Streben nach Ruhe!
Die Gewohnheit ist langlebiger als die Liebe und überwindet manchmal sogar die Verachtung.
Was uns an der sichtbaren Schönheit entzückt, ist ewig nur die unsichtbare.
Nicht leisten können, was andere leisten – du mußt dich bescheiden. Nicht mehr leisten können, was du selbst einmal geleistet hast – zum Verzweifeln.
Wenn der Mensch etwas verschweigen will, dann gibt es keine Macht auf Erden, die ihm sein Geheimnis entreißt.
Die Moral, die gut genug war für unsere Väter, ist nicht gut genug für unsere Kinder.
Mit Dornen ist zum Quell der Gnadengaben Der dunkle Weg bestreut, Gerungen mußt du, mußt gelitten haben, Gesündigt und bereut.
Bis zu einem gewissen Grade selbstlos sollte man schon aus Selbstsucht sein.
Schlechte Menschen erkennt man an ihren guten Ausreden.
Du kannst dem Glück nicht ein Pförtlein öffnen, ohne zugleich vor der Sorge ein Tor aufzureißen.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
Ein großes Können – ein großes Genießen.
Der Pessimist wider Willen, das ist der echte.
Glücklich, der nach seinem Sinn leben kann, ohne dabei eine Pflicht zu verletzen.
Wo gibt es noch einmal zwei Dinge so entgegengesetzt und doch so nahe verwandt, so unähnlich und doch so oft kaum voneinander zu unterscheiden wie Bescheidenheit und Stolz.
Oh, die Menschen, die Menschen! Man muß sie lieben – und will ja – aber manchmal graut einem sogar sehr oft.
Unser Stolz auf den Besitz einer guten Eigenschaft erleidet einen argen Stoß, wenn wir sehen, wie stolz andere auf das Nichtbesitzen der selben guten Eigenschaften sind.
Gemeinsame geistige Tätigkeit verbindet enger als das Band der Ehe.
Treue Liebe kann zwischen Menschen von sehr verschiedenem, dauernde Freundschaft nur zwischen Menschen von gleichem Werte bestehen. Aus diesem Grunde ist die zweite viel seltener als die erste.
Bitter ist der Tadel, aus dem wir mit dem besten Willen keinen Nutzen ziehen können.
Der kleinste Hügel vermag uns die Aussicht auf einen Chimborasso zu verdecken.
Manche Tugenden kann man erwerben, indem man sie lange Zeit heuchelt. Andere zu erringen wird man umso unfähiger, je mehr man sich den Anschein gibt, sie zu besitzen. Zu den ersten gehört der Mut, zu den zweiten die Bescheidenheit.
Die Skizze sagt uns oft mehr als das ausgeführte Kunstwerk, weil sie uns zum Mitarbeiter macht.
Die Empfindung des Einsamseins ist schmerzlich, wenn sie uns im Gewühl der Welt, unerträglich jedoch, wenn sie uns im Schoße unserer Familie überfällt.
Wie lang‘ hat sich geübt im Täuschen und im Lügen, wer endlich sagen darf: Mich kann man nicht belügen?
Wenn zwei brave Menschen über Grundsätze streiten, haben immer beide recht.
Es entmutigt oft den wärmsten Menschenfreund, daß er so vielen Hilfsbedürftigen begegnet, denen nicht zu helfen ist.
Kein Tag vergeht mir so rasch, hinterlässt mir eine so angenehme Erinnerung wie einer, an dem ich weder einen Besuch zu machen noch zu empfangen brauche. Kein Abend scheint mir besser angewendet als der, den ich in meiner Kaminecke verträume, allein mit meinen Gedanken und mit meiner Strickerei.
Auf angeborene Tugenden ist man nicht stolz.
Bücher sind oft die besten Freunde. Aber sie sollten nicht die einzigen in unserem Leben sein.
Der Schwächling ist immer bereit, sogar seine Tugenden zu verleugnen, wenn sie Anstoß erregen sollten.
Du siehst alles ein bißchen klarer mit Augen, die geweint haben.
Das meiste haben wir gewöhnlich in der Zeit getan, in der wir meinten, nichts getan zu haben.
Wenn du durchaus nur die Wahl hast zwischen einer Unwahrheit und einer Grobheit, dann wähle die Grobheit; wenn jedoch die Wahl getroffen werden muß zwischen einer Unwahrheit und einer Grausamkeit, dann wähle die Unwahrheit.
Sich glücklich fühlen können auch ohne Glück – das ist das Glück.
Überlege wohl, bevor du dich der Einsamkeit ergibst, ob du auch für dich selbst ein heilsamer Umgang bist.
Kein Mensch weiß, was in ihm schlummert und zutage kommt, wenn sein Schicksal anfängt, ihm über den Kopf zu wachsen.