Kurt Marti Zitate
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Erwachen gleicht einer Geburt. Weckergerassel löst sie vorzeitig aus.
Kommt, Freunde, doch auch ihr, meine Feinde: Äufnen und speisen wir den heimlichen Fonds der Resignation aneinander! Er wird verwaltet vom tüchtigsten Ökonomen, den die Welt kennt: vom Tod.
Oft laufen mir Überzeugungen wortlos davon. Behaglich breitet sich der anarchische Reichtum der Unordnung wieder aus.
Sie gehe, sagt sie, ins Kino, um über fremdes Elend weinen zu können. Längst habe ihr eigenes keine Tränen mehr.
Noch der Vorsatz, aufrichtig zu sprechen, zu schreiben, bedient sich der Grammatik eingebürgerter Unaufrichtigkeiten.
Meinungsmacher verwenden die Meinung, die sie uns machten, hernach oft dazu, eine Politik zu machen, die wir nicht meinten.
Zweierlei Ellen Falls Arbeiter streiken, weil sie höhere Löhne fordern, gilt dies bald schon als ökonomische Sabotage. Streikt hingegen das Kapital, weil es höhere Profite will, so ist dies ein ökonomischer Sachzwang.
Nach dem Tode? Wenn Gott will, daß nach dem Tode nichts ist, ist „nichts“ gut. Wenn er will, daß etwas ist, ist „etwas“ gut.
Nur ein Narr wird den Ort unter der Hintertreppe für eine der Vorstädte Gottes halten. Noch kauern wir hier im Staub, im Abfall unserer Schuld.
Die Probleme der Welt sind nicht lösbar durch eine Menschheit, die selber das größte Problem dieser Welt ist. Bleibt somit nur die Radikalalternative von Maurice Chappaz: „So man die Natur erhalten will, muß man den Menschen töten“?
Wäre der Mensch Gottes Abbild, müßten die Tiere Atheisten sein.
Am Anfang war die Zukunft. Dann häuften sich Erinnerungen. Am Ende räumt Vergessen auf.
Da Gott verschiedene Kostgänger hat, mußte er auch Diätkoch werden. Seine Schonkost wird vornehmlich in Kirchen serviert.
Frauschaft Vermutlich ist die Herrschaft Gottes, wie Jesus sie verkündet hat, mehr Frauschaft als wir bisher denken wollten.
Die christliche Utopie meint die Herrschaft der Liebe. Dennoch bleibt diese Utopie in bezug auf unsere Weltzeit realistisch: sie verkündet die Liebe als eine gekreuzigte.
Selbst das Gebot, sich von Gott kein Bild zu machen, enthält bereits ein solches, nämlich das eines männlichen Gottes.
Nie aber weiß man genau, was man denkt, bevor man nicht versucht hat, darüber zu reden.
Im Unterschied zum Fortschrittsgedanken ist christlicher Glaube nicht optimistisch.
Ein armer teufel, so sagen wir – von reichen teufeln ist niemals die rede
Sachzwang frißt Menschenfleisch.
Stummheit, diese Festung. Wer redet, verläßt sie und macht sich verwundbar.
In der Marktwirtschaft gelten Schriftsteller, so sie überhaupt etwas gelten, als Gewerbetreibende. Nur logisch, daß behördliche Betriebszählungen sie in die Statistik gewerblicher Betriebe einbeziehen wollen.
Wehe, wenn alle Menschen gut von euch reden! (Lukas 6.26) Doch gibt es auch selbstaufgesetzte Märtyrerkronen, aus Talmi und Papiermaché, Karnevalsmützen zum Verwechseln ähnlich. Gelassenheit also!
Atomgegner – wer ist denn einer? Jener, der Atomkerne zertrümmert, oder der, der eben dies weder tun noch gutheißen will? Man müßte die Atomkerne fragen können.
Nicht Ägypten ist Fluchtpunkt der Flucht. Das Kind wird gerettet für härtere Tage. Fluchtpunkt der Flucht ist das Kreuz.
Werden wir, was wir wünschen? Wünschen wir, was wir werden?
Nachts hört er, schlaflos liegend, das Ticken in seinem Körper: die Zeitbombe Zeit.
Wie auch immer: Eines Tages nimmt der Tod uns der Zeit ab, so daß diese, um uns erleichtert, mit frischem Elan weitergehen kann.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft, ist Herrlichkeit / Fraulichkeit in Ewigkeit. Amen.
Die für die Mitwelt gefährlichsten Egoisten sind jene, die nicht einmal sich selbst zu achten, geschweige denn zu lieben vermögen.
Man muß hoffen, höre ich sagen: Ein Tonband, das man endlos abspielen läßt, um unsere Unfähigkeit zur Lebens- und Verhaltensumkehr munter zu übertönen (im Auto womöglich).
Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht.
Unentwegt stacheln Wirtschaft und Schulen den, wie sie sagen, „gesunden“ Ehrgeiz an. Als wäre Ehrgeiz etwas anderes als eben – Geiz, d. h. verweigerte Solidarität. Deswegen ist, wie Martin Buber in einem Gespräch bemerkte, Erfolg keiner der Namen Gottes.
Wie leicht, ach, gerät man doch zwischen die eine Angst, daß etwas passieren könnte, und die andere Angst, daß es nicht passieren könnte.
Die Sonne lacht, der Himmel weint – als ob’s nicht auch einen lachenden Regen gäbe und nie eine trauernde Sonne.
Auffällig, daß die biblischen Sprachen für Treue und Glauben nur eine Bezeichnung kennen. Von daher die Wendung „Treu und Glauben“ für eine Verläßlichkeit jenseits von Gesetz und Vertrag.
Erde – Planetchen, auf dem, inmitten der Wahrheit des Alls, gelogen wird.
Hoffnung, ob christlich, ob sozialistisch: wenn zahnlos geworden, setzt sie ein Dogma als Kunstgebiß ein und säubert es täglich im Wasserglas der Ideologie.
Modus Als wäre das Leben ein Kino, wo jeder sein eigener Notausgang ist.
Und wieder das Gefühl, im Simulator meines eigenen Lebens zu sein. Aber bitte, es geht mir recht gut dabei, fast besser als ohne dieses Gefühl.
Zweck der Neutronenbombe: die Entmenschung der Städte, Fabriken, Siedlungen. Endlich hat die Zivilisation der Sachwerte den ihr adäquaten Ausdruck gefunden.
Für die Bourgeoisie ist Religion der Vorhang, der in ihren Tempeln das Allerheiligste, das Bild des Gottes Mammon verbirgt.
Unter der Hintertreppe der Engel lerne ich: Gewalt bleibt plump, summarisch, Liebe wird zart und genau. Ferner: jene ist unerbittlich, aber bestechlich, diese erbittlich, aber unbestechlich.
Ein Gespenst geht um, nicht in Europa nur: das, was wir geschaffen haben, unsere Zivilisation.
Für die Behauptung, der Markt werde eines Tages die von ihm mitbewirkten Zerstörungen ökologisch korrigieren und wiedergutmachen, gibt es bisher keine Beweise, aber jede Menge Gegenbeweise.
Ich schreibe, also bin ich. Ich werde gelesen, also bin ich nicht allein.
Zukunft sollen wir bauen? Viele fordern das jetzt. Doch hierbei denken manche bloß an die künftige Sicherung ihrer jetzigen Privilegien. Andere, forschere, bauen, so fürchte ich, Zukunft wie ein Unfall.
Nach meinen Beobachtungen fürchten und verdrängen Männer den Tod mehr als Frauen. Deshalb auch eignen sie sich besser zum Dienst in der Armee, diesem Männerbund, der den allgemeinen Ernstfall vorbereitet und den persönlichen verdrängen hilft.
Das Bestehende, wie manche es rühmen und verteidigen, ist, sieht man näher zu, die Lizenz zur weiteren Zerstörung dessen, was besteht.
Wer nicht Wurzeln hat, wächst in keine Zukunft. Wer eigenen Wurzeln aber nie entwächst, entfaltet sich nicht zum Neuen, zum Baum.