Karl Kraus Zitate
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Wie unperspektivisch die Medien die Symptome einer Krankheit beschreiben! Sie passen immer auch zu den eingebildeten Krankheiten.
Ein armseliger Hohn, der sich in Interpunktionen austobt und Rufzeichen, Fragezeichen und Gedankenstriche als Peitschen, Schlingen und Spieße verwendet!
Viele haben den Wunsch, mich zu erschlagen. Viele den Wunsch, mit mir ein Plauderstündchen zu verbringen. Gegen jene schützt mich das Gesetz.
Man muß die Schriftsteller zweimal lesen, die guten und die schlechten. Die einen wird man erkennen, die andern entlarven.
Ein Gedanke ist nur dann echtbürtig, wenn man die Empfindung hat, als ertappe man sich bei einem Plagiat an sich selbst.
Männliche Phantasie übertrifft alle Wirklichkeit des Weibes, hinter der alle Wirklichkeit des Mannes zurückbleibt. Oder zeitverständlicher gesagt: Der Spekulant überbietet eine Realität, die größer ist als das Kapital.
Ich arbeite Tage und Nächte. So bleibt mir viel freie Zeit. Um ein Bild im Zimmer zu fragen, wie ihm meine Arbeit gefällt, um die Uhr zu fragen, ob sie müde ist, und die Nacht, wie sie geschlafen hat.
Wie souverän doch ein Dummkopf die Zeit behandelt! Er vertreibt sie sich oder schlägt sie tot. Und sie lässt sich das auch gefallen. Denn man hat noch nie gehört, dass die Zeit einen Dummkopf vertrieben oder totgeschlagen hat.
Die Sprache Mit heißem Herzen und Hirne naht‘ ich ihr Nacht für Nacht. Sie war eine dreiste Dirne, die ich zur Jungfrau gemacht.
Ich strebe inbrünstig nach jener seelischen Kondition, in der ich, frei von aller Verantwortung, die Dummheit der Welt als Schicksal empfinden werde.
Die Schauspielerin ist die potenzierte Frau, der Schauspieler der radizierte Mann.
Ein Oppositioneller sein, das heißt ja in Österreich nicht bloß: wollen, was die Regierung nicht will, sondern auch: wollen, wovon man nicht will, daß die Regierung es wolle.
Jeder Wiener ist eine Sehenswürdigkeit, jeder Berliner ein Verkehrsmittel.
Die Erotik ist von der Soziologie nicht mehr zu trennen und also auch nicht von der Ökonomie. In irgendeinem Verhältnis steht die Liebe immer zum Geld. Es muß dasein, gleichgültig, ob man es gibt oder nimmt.
Man tadelte Herrn v. H. wegen eines schlechten Satzes. Mit Recht. Denn es stellte sich heraus, daß der Satz von Jean Paul und gut war.
Meine Leser glauben, daß ich für den Tag schreibe, weil ich aus dem Tag schreibe. So muß ich warten, bis meine Sachen veraltet sind. Dann werden sie möglicherweise Aktualität erlangen.
Nur eine Sprache, die den Krebs hat, neigt zu Neubildungen.
Rascher Erfolg wirkt meistens wie ein heißes Frühjahr: er lockt tausend Blüten in kurzer Zeit hervor, aber ihm folgt nicht ein fruchtreicher Herbst.
Die Phrase ist das gestärkte Vorhemd vor einer Normalgesinnung, die nie gewechselt wird.
Wer immer mit dem Kalb des Andern pflügt, der pflügt schließlich mit dem goldenen.
Enthaltsamkeit rächt sich immer. Bei dem einen erzeugt sie Wimmerln, beim anderen Sexualgesetze.
Anschauliche Reiseberichte machen die Entwicklung der Unkultur vom Männnergesang zum Männergebrüll fühlbar. Je lauter der Lärm und je schlechter die Luft, desto klarer die Erkenntnis, daß in dem Kampf um das Freiheitsrecht, der Zeit ihre Phrase zu prägen, Bier fließt.
Bleiben Sie denn unbewegt vor den vielen, die jetzt sterben? Ich beweine die Überlebenden, und ihrer sind mehr.
Die Mystiker übersehen manchmal, das Gott alles ist, nur kein Mystiker.
Die Gerechtigkeit ist immer gerecht. Sie meint, daß das Recht ohnedies Recht habe; folglich gibt sie’s dem Unrecht.
Das geschriebene Wort sei die naturnotwendige Verkörperung eines Gedankens und nicht die gesellschaftsfähige Hülle einer Meinung.
Man lebt nicht einmal einmal.
Wäre Wissen eine Angelegenheit des Geistes, wie wär’s möglich, dass es durch so viele Hohlräume geht, um, ohne eine Spur seines Aufenthaltes zurückzulassen, in so viele andere Hohlräume überzugehen?
Ich stehe immer unter dem starken Eindruck dessen, was ich von einer Frau denke.
Alle größeren Dummheiten geschehen am Vormittag: der Mensch sollte erst erwachen, wenn die Amtsstunden zu Ende sind.
Wenn die Eltern schon alles aufgebaut haben, bleibt den Söhnen und Töchtern nur noch das Einreißen.
Ein lesender Poet ist wie ein essender Koch.
Die sentimentale Ironie ist ein Hund, der den Mond anbellt, dieweil er auf Gräber pißt.
Passende Wüste für Fata Morgana gesucht.
Die neuen Seelenforscher sagen, daß alles und jedes auf geschlechtliche Ursachen zurückzuführen sei. Zum Beispiel könne man ihre Methode auch als Beichtvater-Erotik erklären.
Die Persönlichkeit hat’s in sich, das Talent an sich.
Mit einem Blick ein Weltbild erfassen, ist Kunst. Wie viel doch in ein Auge hineingeht!
Deutsch ist die Sprache derer, die zwar deutsch fühlen, aber nicht Deutsch können.
Einen Platz an der Sonne erlangen? Nicht leicht. Denn wenn er erreicht ist, ist sie untergegangen.
Es ist ein Unglück, daß in der Welt mehr Dummheit ist, als die Schlechtigkeit braucht, und mehr Schlechtigkeit, als die Dummheit erzeugt.
Das aktive Wahlrecht des Männchens haben die Realpolitiker der Liebe geschaffen.
Gedanken sind zollfrei, aber man hat doch Scherereien.
Die Zweiteilung des Menschengeschlechts ist von der Wissenschaft noch nicht anerkannt worden.
Die Moral ist eine venerische Krankheit. Primär heißt sie Tugend, sekundär heißt sie Langeweile, und tertiär heißt sie Syphilis.
Der Fortschritt feiert Pyrrhussiege über die Natur.
Krank sind die meisten. Aber nur wenige wissen, daß sie sich etwas darauf einbilden können. Das sind die Psychoanalytiker.
Was die Lehrer verdauen, das essen die Schüler.
Kein Erlebnis könnte spannender sein als die Enthüllung eines Dichters. Wenn sich allmählich die Distanz zwischen seinen echtesten Zeilen und dem Menschen aufzutun beginnt.
„Es wird weiter gedroschen.“ Nein, so grausam sind wir nicht. Immer noch mehr Phrasen als Menschen!
Man kann eine Frau wohl in flagranti ertappen, aber sie wird noch immer Zeit genug haben, es in Abrede zu stellen.