Karl Kraus Zitate
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Mir träumte, daß ich fürs Vaterland gestorben war. Und schon war ein Sargtürlaufmacher da, der die Hand hinhielt.
Wer ist das: Sie ist blind vor dem Recht, sie schielt vor der Macht, und kriegt vor der Moral die Basedow’sche Krankheit. Und wegen der schönen Augen dieses Frauenzimmers opfern wir unsere Freiheit!
Der Humor ist nur der Selbstvorwurf eines, der nicht wahnsinnig wurde bei dem Gedanken, mit heilem Hirn die Zeugenschaft dieser Zeitdinge bestanden zu haben.
Erfahrungen sind Ersparnisse, die ein Geizhals beiseite legt. Weisheit ist eine Erbschaft, mit der ein Verschwender nicht fertig wird.
Sie ist mit einer Lüge in die Ehe getreten. Sie war eine Jungfrau und hat es Ihm nicht gesagt.
Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück.
Eine Frau soll nicht einmal meiner Meinung sein, geschweige denn ihrer.
Bald sind es zehn Jahre, dass ich nicht mehr zu mir selbst gekommen bin. Als ich das letzte Mal zu mir kam, gründete ich ein Kampfblatt.
Sinnlichkeit weiß nichts von dem, was sie getan hat. Hysterie erinnert sich an alles, was sie nicht getan hat.
Ich schnitze mir den Gegner nach meinem Pfeil zurecht.
Es gibt auch eine Zeitexotik, die der Unbegabung ganz ebenso zu Hilfe kommt wie die Behandlung ausländischer Milieus. Entfernung ist in jedem Fall kein Hindernis, sondern das Mimikry mangelnder Persönlichkeit.
Was sich alles entpuppen kann: ein Schurke und ein Schmetterling!
Wenn die Moral nicht anstieße, würde sie nicht verletzt werden.
Ungeschoren zu bleiben ist der Wunsch aller Schafe.
Wo ehedem erhöhter Kunstgenuß das erwünschte Zerstreuungswerk besorgte, reicht heute der nächstbeste Klatsch und eine einfache Verstärkung des theatralischen Nachrichtendienstes aus, um einen Leser über die Weltlage zu beruhigen.
Die schlecht verdrängte Sexualität hat manchen Haushalt verwirrt; die gut verdrängte aber die Weltordnung.
Wir leben in einer Gesellschaft, die „Monogamie“ mit „Einheirat“ übersetzt.
Ein Weib ohne Spiegel und ein Mann ohne Selbstbewußtsein – wie sollten die sich durch die Welt schlagen?
Wenn ein Frauenkenner sich verliebt, so gleicht er dem Arzt, der sich am Krankenbett infiziert. Berufsrisiko.
Der Witz ist das Erdgeschoß des Humors, die Satire der erste Stock, die Ironie der zweite, der Sarkasmus das Mansardenstübchen.
Meine Mängel gehören mir. Das macht mir Mut, auch meine Vorzüge anzusprechen.
Liebe und Kunst umarmen nicht, was schön ist, sondern was eben dadurch schön wird.
Mit 82 Jahren ist man dem Tode schon so befreundet, dass er einem die unangenehmsten Wahrheiten ungeniert ins Gesicht sagt!
Im Umgang mit der Sprache steht der Schriftsteller vor der Aufgabe, eine allgemeine Dirne zu einer Jungfrau zu machen.
Sexuelle Aufklärung ist insoweit berechtigt, als die Mädchen nicht früh genug erfahren können, wie die Kinder nicht zur Welt kommen.
Der Erotiker wird der Frau jeden gönnen, dem er sie nicht gönnt.
Wenn unsere Presse sich als das gäbe, was sie wirklich ist, als Element der capitalistischen Weltordnung wohl sein muß, um wie viel besser stünde es um uns!
Wenn einer für universell gebildet gilt, hat er vielleicht noch eine Chance im Leben: daß er es am Ende doch nicht ist.
Was ist die Neunte Symphonie neben einem Gassenhauer, den ein Leierkasten und eine Erinnerung spielen!
Einem, den das Leben mit Tücken verfolgen mußte, weil es ihm nicht gewachsen war, machten sie einen Vorwurf aus ihrer Gemeinheit.
Ein Aphorismus braucht nicht wahr zu sein, aber er soll die Wahrheit überflügeln. Er muß mit einem Satz über sie hinauskommen.
Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht.
Der Übel größtes ist der Zwang, an die äußern Dinge des Lebens, die der inneren Kraft dienen sollen, eben diese zu verplempern.
In Berlin wächst kein Gras, und in Wien verdorrt es.
Warum schreibt mancher? Weil er nicht genug Charakter hat, nicht zu schreiben.
Denn über alle Schmach des Krieges geht die der Menschen, von ihm nichts mehr wissen zu wollen, indem sie zwar ertragen, daß er ist, aber nicht, daß er war.
Der Unechte glaubt an keine Echtheit. Und glaubt er, er würde nicht begreifen, wie man echt sein könne, in einer Zeit, in der es wirklich niemand nötig hat, echt zu sein.
Der längste Atem gehört zum Aphorismus.
Dem Bürger muß einmal gesagt worden sein, daß es der Staat mit der Weisung „Rechts vorbeifahren, links ausweichen“ auf seine Freiheit abgesehen habe.
Eine Ehe ist eine Mesalliance.
Ein dick aufgetragener Vaterstolz hat mir immer den Wunsch eingegeben, daß der Kerl wenigstens die Schmerzen der Zeugung verspürt hätte.
Phantasie macht nicht Luftschlösser, sondern Luftschlösser aus Baracken.
Bei gewissen Gelegenheiten kann die Frau ein praktischer Ersatz des Onanierens sein.
Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.
Was hat Sprung ohne Ursprung? Was ist haltloser und ungreifbarer, grundloser und unberechenbarer als das Gerücht? Die Zeitung. Sie ist der Trichter für den Schall.
Mit Leuten, die das Wort „effektiv“ gebrauchen, verkehre ich in der Tat nicht.
Die Zeitung ist die Konserve der Zeit.
Perversität ist die Gabe, Vorstellungswerte und Empfindungen zu einem Ideal zu summieren.
Vieles, was bei Tisch geschmacklos ist, ist im Bett eine Würze. Und umgekehrt. Die meisten Verbindungen sind darum so unglücklich, weil diese Trennung von Tisch und Bett nicht vorgenommen wird.
Warum hat sich die Ewigkeit diese Mißgeburt von Zeit nicht abtreiben lassen! Ihr Muttermal ist ein Zeitungsstempel, ihr Kindspech Druckerschwärze und in ihren Adern fließt Tinte.