Karl Kraus Zitate
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Psychologen sind Durchschauer der Leere und Schwindler der Tiefe.
Wird in Österreich ein Verfassungsbruch begangen, so gähnt die Bevölkerung.
Ein Dichter, der liest: ein Anblick, wie ein Kellner, der ißt.
Oft enttäuscht eine in der Nähe. Man fühlt sich hingezogen, weil sie so aussieht, als ob sie Geist hätte, und sie hat ihn.
Die Fähigkeit, nach schneller Entscheidung zu zweifeln, ist die höchste und männlichste.
Gestehen wir es uns nur ein, die Menschheit ist seit der Einführung der Menschenrechte auf den Hund gekommen.
In der Liebe ist jener der Hausherr, der dem anderen den Vortritt läßt.
Die christliche Moral hat es am liebsten, daß die Trauer der Wollust vorangeht und diese ihr dann nicht folgt.
Bei manchem Frauenzimmer kommt die Entrüstung vor der Zumutung.
Jetzt sind alle Gedankengänge Laufgräben. Meine gar Katakomben.
Die Deutschen sitzen an der Tafel einer Kultur, bei denen Prahlhans Küchenmeister ist.
Wenn der Dachstuhl brennt, nützt es weder zu beten noch den Fußboden zu scheuern. Immerhin ist das Beten praktischer.
Der Journalismus dient nur scheinbar dem Tage. In Wahrheit zerstört er die geistige Empfänglichkeit der Nachwelt.
Die Häßlichkeit der Jetztzeit hat rückwirkende Kraft.
An einem Dichter kann man Symptome beobachten, die einem Kommerzienrat für die Internierung reif machen würden.
Das Vorurteil ist ein unentbehrlicher Hausknecht, der lästige Eindrücke von der Schwelle weist. Nur darf man sich von seinem Hausknecht nicht selber herauswerfen lassen.
Die Phrase ist manchmal doch einer gewissen Plastik fähig. Von einem Buch, das als Reiselektüre empfohlen wurde, hieß es: „Und wer das Buch zu lesen beginnt, liest es in einem Zuge durch“.
An einem Familientreffen sind nicht nur die schuld, die es ausrichten, sondern auch die, die es nicht verhindern.
Um zu glauben, daß Einer das alles gemacht hat, braucht man doch sicher mehr Gedanken, als nur zu wissen, daß er es nicht gemacht hat – ihr Idioten des freien Geistes!
Der Ernst des Lebens ist das Spielzeug der Erwachsenen. Nur, daß er sich mit den sinnvollen Dingen, die eine Kinderstube füllen, nicht vergleichen läßt.
Es gibt Männer, die man mit jeder Frau betrügen könnte.
Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.
Daß Titania auch einen Esel herzen kann, wollen die Oberone nie verstehen, weil sie dank einer geringern Geschlechtlichkeit nicht imstande wären, eine Eselin zu herzen. Dafür werden sie in der Liebe selbst zu Eseln.
Ein Wolf im Wolfspelz. Ein Filou, unter dem Vorwand es zu sein.
Die Außenwelt ist eine lästige Begleitung eines unbehaglichen Zustandes.
Die Zeitung in Deutschland ist immerhin eine Bedürfnisanstalt. Hier suchen sie durch Goldfische von dem eigentlichen Sinn der Verrichtung anzulenken.
In der Literatur hüte man sich vor Satzbauschwindlern. Ihre Häuser bestehen aus Fenstern, um die eine Mauer geführt ist.
Die Liebe der Geschlechter ist in der Theologie eine Sünde, in der Jurisprudenz ein unerlaubtes Verständnis, in der Medizin ein mechanischer Insult, und die Philosophie gibt sich mit so etwas überhaupt nicht ab.
Das Chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt.
Die männliche Überlegenheit im Liebeshandel ist ein armseliger Vorteil, durch den man nichts gewinnt und nur der weiblichen Natur Gewalt antut. Man sollte sich von jeder Frau in die Geheimnisse des Geschlechtslebens einführen lassen.
Die jungen Leute sprechen so viel vom Leben, weil sie es nicht kennen. Es würde ihnen die Rede verschlagen.
Erfahrungen sind die Erinnerungen, die man teuer bezahlen mußte.
Es gibt eine Zuständigkeit der Gedanken, die sich um ihren jeweiligen Aufenthalt wenig kümmert.
Es gibt Vorahmer von Originalen. Wenn zwei einen Gedanken haben, so gehört er nicht dem, der ihn früher hatte, sondern dem, der ihn besser hat.
Nichts beweist mehr gegen eine Theorie als ihre Durchführbarkeit.
Ich habe schon manches Stilproblem zuerst durch den Kopf, und dann durch Kopf und Adler entschieden.
Die Sprache Mutter des Gedankens? Dieser kein Verdienst des Denkenden? O doch, er muß jene schwängern.
Eines Dichters Sprache, eines Weibes Liebe – es ist immer das, was zum erstenmal geschieht.
Ein Künstler hat das Recht, bescheiden, und die Pflicht eitel zu sein.
Sie sagte sich innerlich: Ich schlafe mit dir, ja! Doch um Himmels Willen keine Vertraulichkeiten.
Ein Rezensent, der zu den passenden Worten immer ein Urteil findet.
Nichts ist unergründlicher als die Oberflächlichkeit des Weibes.
Nichts ist trauriger als Niedrigkeit, die ihren Lohn nicht erzielt hat. Sie bilde sich nachträglich nicht ein, daß sie Gemeinheit l’art pour l’art sei.
Gern käm ich um die Konzession zum Handbetrieb einer Guillotine ein. Aber die Erwerbssteuer!
Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert, die Straßen anderer Städte mit Asphalt.
Der Unmoralprotz ist dem Moralprotzen verwandter als die Unmoral der Moral.
Wer die Geliebte die Geliebte nenne, müsse auch den Mut haben, die Ehefrau die Ungeliebte zu nennen.
Der Wiener erkannt, daß der Wagentürlaufmacher zwecklos sei. Da erfand er Klinken, mit denen man nicht öffnen kann.
Gewissensbisse sind die sadistischen Regungen des Christentums.
Haß muß produktiv machen. Sonst ist es gleich gescheiter, zu lieben.