Jean de La Bruyère Zitate
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Man ist so voll von sich, dass man alles auf sich bezieht.
Lieben ist eine Schwäche, davon genesen ist auch eine Schwäche. Man tröstet sich und ist genesen: unser Herz ist nicht reich genug, immer zu weinen und immerfort zu lieben.
Es gibt nur zwei Wege, um auf der Welt vorwärts zukommen: durch seine eigenen Fähigkeiten oder durch die Dummheit der anderen.
Beim Freunde sieht man nur die Fehler, die ihm nachteilig werden können, bei der Geliebten nur die Fehler, unter denen man selber zu leiden hat.
Dem, der sich mit Geduld wappnet, ist alles erreichbar.
Schlüpfrige Geister gibt es genug, schmähsüchtige oder satirische in noch größerer Zahl, die feinsinnigen sind selten.
Ueber die Mächtigen muss man schweigen. Gutes von ihnen zu reden, ist fast immer Schmeichelei; Uebles von ihnen zu sagen während ihres Lebens, ist gefährlich; und wenn sie gestorben sind, zeugt es von Feigheit.
Anfang und Ende einer Liebe kündigen sich dadurch an, daß man sich scheut, mit dem anderen alleine zu sein.
Es ist ebenso schwer, einen eitlen Menschen zu finden, der sein Glück groß genug glaubte, wie einen bescheidenen, der sein Mißgeschick für unerträglich hielte.
Der größte Teil der Menschen verwendet die erste Hälfte ihres Lebens darauf, die zweite elend zu machen.
Die Frechheit der Quacksalber und ihre traurigen Erfolge kommen der Heilkunde und den Ärzten zugute: Diese lassen nur sterben, die anderen töten.
Liebe und Freundschaft schließen sich gegenseitig aus.
Man kann es auf zweierlei Art zu etwas bringen: durch eigenes Können oder durch die Dummheit der anderen.
Ist Armut die Mutter der Verbrechen, dann ist Mangel an Verstand ihr Vater.
Der Mann bewahrt fremde Geheimnisse besser als eigene. Die Frau bewahrt eigene Geheimnisse besser als fremde.
Fast niemand bemerkt von sich aus das Verdienst eines anderen.
Man kommt in der Freundschaft nicht weit, wenn man nicht bereit ist, kleine Fehler zu verzeihen.
Indem wir die Seelen der großen und guten aller Zeiten lesen, lernen wir aus den Erfahrungen vergangener Jahrhunderte, wie die Leidenschaften zu mildern und zu regieren; sie führen uns zum Verständnis des Menschen der gegenwärtigen Zeit, dessen moralische Natur ewig dasselbe bleibt.
Wer eine große Liebe an sich erfahren hat, vernachlässigt die Freundschaft; wer sich in Freundschaft erschöpft hat, hat damit noch keinen Schritt zur Liebe getan.
Nicht alle Fremden sind Barbaren und nicht alle unsere Landsleute gesittete Menschen.
Die nächste Veranlassung zur Armut sind große Reichtümer.
Es wäre interessant zu sterben, d.h. aufzuhören Körper zu sein und nur Geist zu werden. Aber der Mensch, ungeduldig alles Neue zu ergründen, ist nur auf dies eine nicht neugierig.
Manche Frauen haben ihr ganzes Leben hindurch eine doppelte Bindung aufrechtzuerhalten, die gleich schwer zu lösen und zu verschleiern ist; bei der einen fehlt nur der Vertrag, bei der anderen das Herz.
Es gibt nichts Niedrigeres und was den Pöbel besser bezeichnet, als in prächtigen Ausdrücken von denen zu sprechen, von welchen man vor ihrer Erhebung sehr bescheiden dachte.
Man muss lachen, bevor man glücklich ist, weil man sonst sterben könnte, ohne gelacht zu haben.
Ich möchte einen nüchternen, maßvollen, keuschen, rechtlich denkenden Menschen behaupten hören, es gebe keinen Gott: Ein solcher Mensch würde wenigstens ganz uneigennützig sprechen. Doch er ist nicht zu finden.
Der Anstand, das rücksichtsvolle Benehmen und die feine Lebensart von Leuten beiderlei Geschlechts geben mir keine schlechte Meinung von dem, was man die gute alte Zeit nennt.
Die meisten Frauen sind ohne Grundsätze, sie folgen ihrem Herzen und sind von denen, die sie lieben, abhängig.
Ende der Liebe: fühlbarer Beweis, daß der Mensch ein beschränktes Wesen ist und das Herz seine Grenzen hat.
Daß gewisse Leute im Guten nicht so weit gehen, wie sie könnten, liegt an ihrer schlechten Erziehung.
Trotz unserer reinen Sprache, trotz unserer großen Gesuchtheit in der Kleidung, trotz gepflegter Sitten, trefflicher Gesetze und weißer Hautfarbe sind wir in den Augen mancher Völker Barbaren.
Bei manchen Leuten muß Anmaßung die Größe, Unmenschlichkeit die Festigkeit des Charakters, Arglist den Geist ersetzen.
Der ist reich, der mehr einnimmt, als er verbraucht; der ist arm, dessen Ausgaben die Einnahmen übersteigen.
Es gibt sonderbare Väter, deren ganzes Leben damit erfüllt ist, ihren Kindern Gründe zu verschaffen, sich über ihren Tod zu trösten.
Die Leidenschaften tyrannisieren den Menschen; der Ehrgeiz aber hält in ihm die übrigen Leidenschaften zurück und gibt ihm eine Zeitlang den Anschein aller Tugenden.
Wenn der Geldmann seinen Coup verfehlt, sagen die Höflinge von ihm: er ist ein Bürger, ein Nichts, ein Flegel; wenn ihm der Coup gelingt, bitten sie ihn um die Hand der Tochter.
Aus der Physiognomie lassen sich keine festen Regeln für die Beurteilung des menschlichen Charakters herleiten: sie gestattet Vermutungen.
Schönheiten sind an der unrechten Stelle nicht mehr Schönheiten. Das Schickliche bedingt die Vollkommenheit und die Vernunft das Schickliche. Daher vernimmt man in einer Kapelle keine lustigen Tänze und erblickt keine profanen Bilder.
Ein hochmütiges und aufgeblasenes Wesen trägt in der Gesellschaft gerade das Gegenteil der erwarteten Achtung ein.
Wir müssen danach streben, irgendein Amt wirklich zu verdienen; alles weitere geht uns nichts an, es ist Sache der andern.
Jemanden vergessen wollen, heißt an ihn denken.
Wissen denn die Starkgeister, dass man sie nur aus Ironie so nennt? Welche größere Schwäche kann es geben, als darüber in Ungewißheit zu sein, was der Urgrund und das Ziel seines Daseins, seines Lebens, seiner Sinne, seines Erkennens ist?
Wie unsere Zuneigung zu Menschen wächst, denen wir Gutes tun, so unser Haß gegen die, welche wir sehr beleidigt haben.
Je mehr sich ein Weib dem Manne hingab, desto enger hängt sich ihr Herz an ihn, während oft umgekehrt das des Mannes sich desto ablöst.
Nebst Diamanten und Perlen ist die Urteilskraft die größte Seltenheit auf Erden.
So wie es aussieht, beschränkt die Ehe den Menschen auf das Niveau, welches zu ihm paßt.
Die Extreme sind verderblich und gehen von Menschen aus; jeder Ausgleich ist gerecht und kommt von Gott.
Um Gut und Vermögen läuft man sich nicht so die Beine ab wie um nichtige Lockungen der Laune.
Gelegentliche Reue über die schlechte Anwendung ihres bisherigen Lebens führt die Menschen nicht immer dahin, die ihnen noch vergönnte Zeit besser zu nutzen.
In der Liebe gibt es kaum einen anderen Grund, sich nicht mehr zu lieben, als daß man sich zu sehr geliebt hat.