Jean de La Bruyère Zitate
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Während die Menschen ihre Pflichten lässig erfüllen, machen sie sich ein Verdienst oder besser einen Ruhm daraus, Dinge mit Eifer und Hingabe zu tun, die sie nichts angehen und weder ihrem Stand noch ihrem Charakter angemessen sind.
Manche Frau entgeht der Koketterie durch ihre starke Liebe zu einem einzigen Mann – und gilt als Törin wegen ihrer schlechten Wahl.
Spott ist oft Geistesarmut.
Ein verliebter Greis ist eine große Mißbildung der Natur.
Der Feldherr und der Staatsmann schaffen ebensowenig wie der geschickteste Spieler den Glücksfall, aber sie bereiten ihn vor, suchen ihn herbeizulocken und scheinen ihn fast zu bestimmen.
Wenn Adel Tugend ist, so geht er durch all das verloren, was der Tugend widerspricht; ist es nicht Tugend, taugt er wenig.
Die Liebe entsteht plötzlich, ohne alle Überlegung, aus Temperament oder Schwäche: ein schöner Zug fesselt uns, hält uns gefangen.
Wenn es so gewöhnlich ist, daß wir uns von seltenen Dingen lebhaft ergriffen fühlen, warum nicht von der Tugend?
Wenn man geschätzt sein will, muß man mit schätzenswerten Menschen leben.
Die Gewißheit des Todes wird durch die Ungewißheit des Eintretens gemildert.
Es ist besser sich der Undankbarkeit auszusetzen, als den Unglücklichen Unrecht zu tun.
Dem, der sich mit Geduld wappnet, liegen keine Vorteile zu fern.
Die Weisen zu verlachen, das ist das Vorrecht der Toren.
Bei manchen, die bei der Verteilung fürstlicher Gunst nicht berücksichtigt wurden, fragt man: Warum vergißt man sie?, und würde doch, hätte man sich ihrer erinnert, gefragt haben: Warum gerade die?
Große Unwissenheit macht dogmatisch; wer nichts weiß, glaubt andere lehren zu können, was er gerade selber gelernt hat.
Schöne Mädchen geben ihren einst schlecht behandelten Liebhabern oft durch häßliche oder unwürdige Ehemänner eine zwar späte, aber ausreichende Genugtuung.
Es gibt für den Menschen nur drei Ereignisse: Geburt, Leben und Tod. Der Geburt ist er sich nicht bewusst, der Tod ist ihm ein Schmerz, und er vergisst zu leben.
Beim Anblick eines gewissen Elends empfindet man eine Art Scham, glücklich zu sein.
Es ist der Ruhm oder das Verdienst einiger Menschen, gut zu schreiben; und das von andern, gar nicht zu schreiben.
Der Haß der Schwächlinge ist weniger gefährlich als ihre Freundschaft.
Die reine Freundschaft gewährt einen Genuß, zu dem sich mittelmäßige Menschen nie zu erheben vermögen
Vom Haß ist ein kleinerer Schritt zur Freundschaft als von der Abneigung.
Man eilt herbei, um die Unglücklichen zu betrachten, man bildet eine Gasse oder stellt sich an die Fenster, um die Züge und die Haltungen eines Menschen zu beobachten, der zum Tode verurteilt ist und weiß, daß er sterben muß: eitle, bösartige, unmenschliche Neugierde!
Ein wesentlicher Umstand bei der Gerechtigkeit, die man anderen schuldet, ist, daß man sie ihnen sogleich und ohne Aufschub widerfahren läßt.
Man darf Menschen nicht wie ein Gemälde oder eine Statue nach dem ersten Eindruck beurteilen, die haben ein Inneres, ein Herz, das ergründet sein will.
Der Weise meidet zuweilen die Menschen, aus Furcht sich zu langweilen.
Die Frauen mißfallen einander wegen derselben Vorzüge, durch die sie den Männern gefallen: Tausend Arten des Verhaltens, welche in diesen große Leidenschaften entzünden, erwecken unter jenen Abneigung und Widerwillen.
Man öffnet jeden Morgen sein Geschäft und legt die Waren aus, um seine Kunden zu betrügen; und man schließt am Abend, nachdem man den ganzen Tag über betrogen hat.
Wegen der Männer können sich Frauen nicht leiden.
Man mag in der Liebe heikel sein, man verzeiht ihr doch mehr Fehler als der Freundschaft.
Geziertheit in Gebärden, Sprechen und Benehmen ist oft eine Folge von Müßiggang oder Teilnahmslosigkeit; und es scheint, daß eine starke Neigung oder ernstliche Tätigkeit den Menschen sein wahres Wesen wieder finden läßt.
Wenn eine Frau die Schönheit einer andern anerkennt, so darf man daraus schließen, daß sie sich selber für schöner hält…
Um ein Intrigant zu sein, braucht man Geist.
Wahrheiten, die man ganz besonders ungern hört, hat man ganz besonders nötig.
Die wahre Größe ist ungezwungen, vertraulich, leutselig. Sie läßt sich nahe kommen und mit sich umgehen; sie verliert nichts, wenn man sie in der Nähe sieht; je mehr man sie kennen lernt, desto mehr bewundert man sie.
Nur an sich und an das Gegenwärtige denken, ist die Quelle der Fehlgriffe in der Staatskunst.
Welcher Mann von Talent und Verdienst muß sich nicht von seiner Überflüssigkeit überzeugen, wenn er bedenkt, daß er nach seinem Tode eine Welt zurückläßt, die seinen Verlust nicht empfindet und ihn sofort durch irgendwelchen andern ersetzt.
Wer das Gegenteil von Gerüchten, die über Ereignisse oder Personen umlaufen, annimmt, trifft oft den wahren Sachverhalt.
Die galante Frau erregt Besorgnis, die kokette Haß.
Es gibt eine falsche Bescheidenheit, die Eitelkeit ist; einen falschen Ruhm, der Belanglosigkeit ist, eine falsche Größe, die Kleinheit ist, eine falsche Tugend, die Heuchelei ist und eine falsche Sittlichkeit, die Prüderie ist.
Lob ist die einzige Kraft, die uns zu edlen Handlungen antreibt und Ausdauer dafür verleiht.
Im Schoß der Familien herrschen oft Mißtrauen, Eifersüchtelei und Abneigungen, während uns ein zufriedenes, einträchtiges und heiteres Äußeres täuscht und einen Frieden vermuten läßt, der gar nicht vorhanden ist.
Wir suchen unser Glück außerhalb von uns selbst, noch dazu im Urteil der Menschen, die wir doch als kriecherisch kennen und als wenig aufrichtig, als Menschen ohne Sinn für Gerechtigkeit, voller Mißgunst, Launen und Vorurteile: wie absurd!
Solange die Menschen sterben können und das Leben lieben, wird der Arzt verspottet und gut bezahlt werden.
In Zeiten blühender Gesundheit zweifelt man am Dasein Gottes, wie man die Sündhaftigkeit des Umgangs mit einem losen Frauenzimmer bezweifelt. Wird man krank und plagt einen die Wassersucht, dann gibt man seine Mätresse auf und glaubt an Gott.
Die vollendete Form der Neuigkeitskrämerei ist das hohle Geschwätz über Politik.
Du glaubst, du hast ihn hinters Licht geführt. Wenn er sich aber nur so stellt, wer ist dann der größere Narr, er oder du?
Eine Frau ist leicht zu beherrschen, wenn einem Mann daran gelegen ist. Ein einziger kann sogar mehrere lenken.
Die Reue, welche die Menschen über die schlechte Anwendung der bereits durchlebten Zeit empfinden, bringt sie nicht immer dahin, von dem ihnen noch vergönnten Theile des Lebens einen bessern Gebrauch zu machen.
Die Vernunft gleich der Wahrheit: es gibt nur eine. Nur ein Weg führt zu ihr hin, auf ungezählten kann man sie verfehlen.