Hermann Bahr Zitate
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Eher fährt der Mensch aus seiner Haut als aus seiner Nation.
Doch einen Menschen hinzunehmen, und freudig, nicht mit einem duldsamen Achselzucken bloß, sondern mit der verstehenden Kraft immer bereiter, niemals eifernder Liebe, das ist fast übermenschlich.
Jede Jugend hat das Bedürfnis nach Gestalt: ihre Grenzen will sie ziehen, und wer diesen widerstrebt, ist ihr der Feind.
Ein Fehler, den man mit einem anderen Menschen teilt, verbindet tiefer als ein gemeinsamer Vorzug.
Wer berufen ist, hat Angst, wenn seine Stunde schlägt, denn er weiß, welches Opfer sie von ihm verlangt: das Opfer seiner Person um seiner Sache willen.
Jedermann hat das Gefühl, daß es so nicht weiter gehen kann, daß irgend etwas geschehen muß, niemand hat ein Gefühl, was er zu tun hat, oder auch nur, daß er selber überhaupt dabei mitzutun hat. Alle warten nur. Sie warten ins Ungewisse hinein. Sie haben die Herrschaft über ihr Schicksal verloren.
Weltanschauung ist eine Summe von Ideen, die das Bewußtsein einer Zeit erfüllen und, keinem beweisbar, für sie dennoch eine unerschütterliche Gewißheit besitzen.
Denn es scheint, daß der Mensch, was er mit Augen sieht, erst dann erblickt, wenn es ihm vorgemalt wird.
Die Wahrheit ist eine scheue Geliebte; man besitzt sie niemals ganz.
Wer falsche Ideen im Bewußtsein hat, die ohne ein Korrelat in der Gegenwart nur Denkmäler längst überwundener Vergangenheit sind, der hat – genau genommen – in der Gegenwart gar keine Existenz.
Aber wer älter wird, verliert die schwächende Furcht, banal zu werden. Die paar Wahrheiten, von denen die Menschheit lebt, sind in ihrer eisgrauen Ehrwürdigkeit wirklich schon recht langweilig geworden. Aber es haben sich halt bisher noch keine besseren gefunden.
Im übrigen aber wird China Motto werden und eine ungeheure Mittelmäßigkeit dem deutschen Leben das Gepräge geben.
Ich frage mich oft, ob wir nicht unmittelbar vor einer gewaltigen Sprachwende, ja vielleicht schon mitten in ihr stehen.
Denn mit Friedensliebe um jeden Preis, der keine Tatkraft zur Seite steht, kommt man nicht durch, jedenfalls schickt sie sich nicht für eine Großmacht, sondern höchstens für einen Vasallenstaat, wo man nichts weiter verlangt als ein knechtisches Stilleben.
Es ist ein Zeichen des beginnenden Alters, wenn man auf einmal Lust kriegt, Bücher wieder zu lesen, die man schon kennt. Noch einen Schritt näher an das Grab, und man liest überhaupt nur noch Bücher, die man schon kennt.
Das Gefühl braucht Opposition. Wenn man schon aus Liebe heiratet, sollten wenigstens die Eltern dagegen sein.
Allgemein gefallen, heißt vielen gleichen, mißfallen: eigen sein.
Ein gewisses Maß an Unkenntnis voneinander ist die Voraussetzung dafür, daß zwei Menschen Freunde bleiben. (Sehen Sie, für Jagdfreunde gilt das besonders. Damit wir unsere Geheimnisse bewahren, haben wir sogar eine geheimnisvolle Sprache entwickelt – das Jägerlatein.)
Die Natur hat uns das Schachbrett gegeben, aus dem wir nicht hinaus wirken können, noch wollen, sie hat uns die Steine geschnitzt, deren Wert, Bewegung und Vermögen nach und nach bekannt werden; nun ist es an uns, Züge zu tun, von denen wir uns Gewinn versprechen.
Wenn die Franzosen sagen, es stehe schon alles im Balzac, so können wir alles schon in Goethe finden, unsere ganze Vergangenheit und auch unsere Zukunft, wenn wir überhaupt noch eine haben, enthält er. Aber es machen die Franzosen ebenso wenig Gebrauch von Balzac wie wir von Goethe.
Der Irrtum ist, Charakter sei, keinen Widerspruch in sich selbst zu dulden.
Alle dreißig oder fünfzig Jahre werden ja stets wieder einmal die geschlechtlichen Ideale gewechselt.
Es ist keine Idee im menschlichen Bewusstsein, die ihren Ursprung nicht hätte in der Außenwelt, in dem jenseits des Bewusstseins und unabhängig von diesem dahinfließenden ökonomischen Prozess.
Das sind die Stufen der Erkenntnis: das Leben ein Zweck, das Leben ein Leid, das Leben ein Traum, das Leben ein Ulk, das Leben ein Spiel, das Leben ein Gottesdienst!
Genie besteht immer darin, dass einem etwas Selbstverständliches zum erstenmal einfällt.
Was zieht im Theater? Was den Frauen gefällt. Was gefällt den Frauen? Was von ihrer Sache handelt. Was ist ihre Sache? Was sie Liebe nennen.
Der Deutsche braucht ja wirklich nur endlich wieder einmal sein eigenes Herz kennen zu lernen und er wäre gesund und es siegte der Mut! Was schiert uns Macht und Ruhm und Lohn? Der Deutsche hat in sich selber Welt genug, um jede äußere entbehren zu können.
Alles, was wir lesen, sagt uns immer nur so viel, als wir schon selber wissen, denn über alles, wofür wir noch nicht reif sind, lesen wir hinweg, auch beim besten Willen: Bücher können uns eigentlich nur Hebammen sein.
Leonardo malt bald den Dionysos, bald den Johannes, bald die Mona Lisa, doch es wird niemals der Dionysos, noch der Johannes, noch die Mona Lisa, sondern immer dasselbe Lächeln der Seele springt immer wieder daraus auf.
Die Wahrheit aller Länder ist nur in Dachkammern vorhanden.
Es hilft uns nichts, das Böse zu verneinen; gegen das Böse hilft uns nur, die Welt so mit Gutem anzufüllen, daß schließlich das Böse keinen Platz mehr hat.
Die Generation, deren heißen Atem man im eigenen Nacken verspürt, versteht einen immer am wenigsten, sie lernt man eigentlich nie verstehen, mit ihren Überwindern verständigt man sich dann wieder leicht.
Indem der Einzelne seine Nation in sich auswischt, wird er nicht übernational, er wird nur zunichte.
Das Unglück ist, daß man in den deutschen Zeitungen (aller Parteien!) stets das Gegenteil der deutschen Meinung liest und vom Deutschen selbst, sobald er politisiert, das Gegenteil seiner eigenen Meinung hört.
Theater wird erst wirklich, wenn das Publikum innerlich mitspielt.
… denn der Politiker kann nur brauchen, was Emotion erregt.