Egon Friedell Zitate
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In Österreich wird man nur zum großen Mann, wenn man etwas auffällig nicht tut.
Lieber Leser, wenn schon ich mir so oft widerspreche, dann ist es wirklich gänzlich überflüssig, daß auch du mir noch widersprichst.
Die beiden großen Mächte, die uns zwingen, unser Dasein auch unter widrigen Umständen fortzusetzen, sind Hoffnung und Neugierde.
Durch die unendliche Tiefe des Weltraums wandern zahllose Sterne, leuchtende Gedanken Gottes, selige Instrumente, auf denen der Schöpfer spielt. Sie alle sind glücklich, denn Gott will die Welt glücklich. Ein einziger ist unter ihnen, der dieses Los nicht teilt: auf ihm entstanden nur Menschen.
Was das Gymnasium wert ist, sieht man weniger an denen, die es besucht haben, als an denen, die es nicht besucht haben.
Die Maschine ist die souveräne Beherrscherin unseres gegenwärtigen Lebens.
Der Dichter ist das Salz der Zeit. Er fragt, wo es sonst niemand tut.
Man kann aus einem Wischlappen keinen Funken schlagen.
Der Pegel der Kultur steht am tiefsten, wenn sie am eindeutigsten ist.
Die Aufgabe des großen Philosophen besteht nicht darin, korrekt zu schließen, sondern die Stimme seiner Zeit zu sein, das Weltgefühl seiner Epoche in ein System zu bringen.
Der Alkohol ist ein Gift. Das haben die Physiologen bewiesen. Aber gegen den Alkohol ist damit gar nichts bewiesen, denn ein Gift kann immer noch eine Medizin sein.
Eine Dichtung ist nichts anderes als eine Aufforderung an das Publikum, zu dichten. Je mehr Spielraum sie gewährt, je mehr Stellen sie offen läßt, desto bedeutender ist sie. In jedem Verstehen erwächst ihr ein neuer Dichter. Tausend Auffassungen sind möglich, und alle sind sie richtig.
Das, was war, wirkt auf uns allemal tiefer als das, was ist.
Das Volk will niemals die Freiheit. Erstens: weil es keinen Begriff von ihr hat. Und zweitens: weil es mit ihr gar nichts anfangen könnte.
Kultur ist Reichtum an Problemen, und wir finden ein Zeitalter um so aufgeklärter, je mehr Rätsel es entdeckt hat.
Ein Zeitalter ist umso aufgeklärter, je mehr Rätsel es entdeckt.
Jedes Zeitalter hat ein bestimmtes, nur ihm eigentümliches Bild von allen Vergangenheiten, die nur seinem Bewußtsein zugänglich sind.
Die Geschichte der Natur wiederholt sich immer: sie arbeitet mit ein paar Refrains, die sie nicht müde wird zu repetieren; die Geschichte der Menschheit wiederholt sich nie: sie verfügt über einen unerschöpflichen Reichtum von Einfällen, der stets neue Melodien zum Vorschein bringt.
Das Leben ist für den Alltagsmenschen ein wissenschaftliches Problem, für das Talent ein künstlerisches und für das Genie ein religiöses.
Eine jede Revolution hat ihre Geburtsstunde in dem Augenblick, wo irgendein öffentliches Unrecht in irgendeiner menschlichen Seele sich in Erkenntnis verwandelt.
Das Wort Ästhet gehört zu jenen, die, je nach dem man Sie ausspricht, eine Schmeichelei oder eine Beleidigung bedeuten können.
Daß man einem Wasser nicht auf den Grund blicken kann, beweist noch nicht, daß es tief ist.
Die Genies haben immer denselben Leidensweg zu durchmessen: vom Kasperl zum Seminar.
Der Dichter bewahrt sein Zeitalter auf; ohne ihn würde es nicht erhalten bleiben.
Es ist eine psychologische Tatsache, daß Toleranz dem Durchschnitt der Menschheit ganz wesensfeindlich ist.
Der Fortschritt der Menschheit besteht in der Zunahme ihres problematischen Charakters.
Wir können nie von etwas anderem reden, etwas anderes erkennen als uns selbst.
Wenn sie sagen, daß ich mir widerspreche, warum widersprechen sie mir dann?
Jede Wahrheit tritt zuerst als Irrlehre in die Welt, denn die Welt ist immer von gestern.
Nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf.
Als man Michelangelo aufmerksam machte, daß seine Statue des Papstes nicht ähnlich sei, sagte er: Wem wird das in zehn Jahrhunderten auffallen?
Das Wiedererkennen Gottes in der Welt ist die eigentümliche Fähigkeit und Begabung jedes großen Menschen.
Tatsächlich ist der Darwinismus eine dialektische Konstruktion, ja eine Art Religion mit sehr ausgebildeter Mythologie und Dogmatik.
Was Humor ist, das hat wohl noch niemand zu erklären vermocht: und ich glaube, schon der bloße Versuch, diesen Begriff näher bestimmen zu wollen, ist ein Beweis von Humorlosigkeit, weshalb ja auch hauptsächlich Universitätsprofessoren sich mit dieser Aufgabe beschäftigt haben.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß Träume oft viel stärker auf uns wirken als wirkliche Erlebnisse. Woher kommt das? Weil das Erlebnis immer eine viel geringere Realität hat als die Phantasie.
Aber keine Wahrheit ist eine Privatangelegenheit.
Aller Fortschritt zersetzt, trennt, löst auf, zersplittert kompakte Solidaritäten, zerreißt althergebrachte Zusammenhänge, zerstört, sprengt in die Luft. Aller Fortschritt hat das Thema, das Dasein zu irrationalisieren, es widerspruchsvoller und fragwürdiger, tiefer und bodenloser zu machen.
Es gibt Menschen, die selbst für Vorurteile zu dumm sind.
Dummheit ist ein gutes Ruhekissen.
Ein Ästhet ist der Schauspieler seines Ideals.
Menschen, die nur die eine Seite irgendeiner Wahrheit erblickt haben.
Bei einem Denker sollte man nicht fragen: Welchen Standpunkt nimmt er ein? Sondern: Wie viele Standpunkte nimmt er ein? Mit anderen Worten: Hat er einen geräumigen Denkapparat, oder leidet er an Platzmangel, das heißt: an einem System?
Es ist ganz merkwürdig, wie stark die Menschen im Verfehlen des Richtigen und des Nächstliegenden sind.
Altruismus aus Klugheit, Idealismus aus Eigennutz: das ist vielleicht die Formel für eine kommende Ethik.
Die große Majorität der Menschheit würde der trostlosesten Langeweile verfallen, wenn sie nicht durch tausend Zwangsmaßregeln von sich selbst und ihrer inneren Leere abgelenkt würde.
Rechtsanwälte: Die Welt hat einen großen Bedarf an Leuten, die Unrecht für Recht ausgeben können.
Gott nimmt die Welt nicht ernst, sonst hätte er sie nicht schaffen können.
Die meisten unserer heutigen Wahrheiten haben so kurze Beine, daß sie gerade so gut Lügen sein könnten.
Ende des achtzehnten Jahrhunderts hielten die meisten Menschen Vulpius, den Verfasser des Rinaldo Rinaldini, für einen größeren Dichter als seinen Schwager Goethe.
Es gibt nun einmal keine ewigen Werte: ewig ist die Sehnsucht nach ihnen.