Christian Morgenstern Zitate
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Gute Erziehung – ein zweischneidiges Schwert. Mancher wird nie ein wirklicher Mensch, ein Mensch von Umfang, infolge seiner guten Erziehung.
Im allgemeinen Der Jüngling schwört es, und der Mann vergißt es. Der sagt: So soll es sein! Und der: So ist es.
Die Welt ist nur eine Form des Menschen.
Was ist der Mensch, daß er nicht alles hingeben sollte – um des Menschen willen!
Ich habe soeben eine lange leidenschaftliche Epistel an meinen Ofen verfaßt und sie ihm dann übergeben. Er verschlang sie gierig und wärmte mir mit seinem Feuer eine Minute lang Gesicht und Hände. Gewiß, das war alles; aber es gibt Menschen, die nicht einmal wie ein Ofen zu antworten vermögen.
Was ich heute tue, tue ich nicht um meinetwillen, sondern um meiner Liebe zum Menschen willen.
Daß der moderne Mensch nicht schreien soll, ist eine seiner qualvollsten und verderblichsten Forderungen an sich selbst.
Größer noch als die „Sinnlosigkeit“ des Schicksals ist seine Gerechtigkeit.
Die beste Erziehungsmethode für ein Kind ist, ihm eine gute Mutter zu verschaffen.
Eine der schönsten und symptomatischesten russischen Sitten ist die Anrede beim Vornamen. Eine ganze Welt von Zopfigkeit liegt in unserem Herr, Fräulein, gnädige Frau.
Das ist ein äußerst merkwürdiges Gefühl, wenn man sich frühmorgens das Gesicht abreibt und sich dabei vorstellt: nun hast du deine Gedanken mit gewaschen und abgetrocknet.
Man versteht den Menschen erst – sub specie reincarnationis.
Habe die Gabe der Unbestechlichkeit. So sehr auch Liebe für dich Partei ergreifen mag: dein Sein gilt, nicht dein Schein.
So ein Spinnentüchlein voll Regentropfen – wer macht das nach?
Alles Denken ist Zurechtmachen.
Es ist merkwürdig, daß ein mittelmäßiger Mensch oft vollkommen recht haben kann, – und doch nichts damit durchsetzt.
Erde, die uns dies gebracht, Sonne die es reif gemacht: Liebe Sonne, liebe Erde, Euer nie vergessen werde.
Glaube mir, daß eine Stunde der Begeisterung mehr gibt als ein Jahr gleichmäßig und einförmig dahinziehenden Lebens.
Nur durch Schaden werden wir klug – Leitmotiv der gesamten Evolution. Erst durch unzählige, bis ins Unendliche wiederholte leidvolle Erfahrungen lernt sich das Individuum zum Meister über sein Leben empor. Alles ist Schule.
Wer mit Nietzsche denkt, „widerspricht“ sich auch mit Nietzsche. Wer sich an seinen „Widersprüchen“ stößt, hat nie mit ihm gedacht (noch mehr: gefühlt) – ist nie mit ihm geflogen.
Es ist ein wahres Glück, daß der liebe Gott die Fliegen nicht so groß wie die Elefanten gemacht hat, sonst würde uns, sie zu töten, viel mehr Mühe machen und auch weit mehr Gewissensbisse.
Wir spielen unsere Gedanken gegeneinander aus, in Wirklichkeit unsere Temperamente.
Meine Methode, ein Wort durch den Gestus zu finden.
Man hat nie nur einen Grund zu einer Handlung, sondern hundert und tausend.
Von mir: die Menschen sind ihm allein Köpfe Gottes.
Man soll sich seiner Krankheiten schämen und freuen; denn sie sind nichts anderes als auszutragende Verschuldung.
Man soll nie das Wohl, man soll das Heil eines Menschen im Auge haben.
Die meisten Ehen werden geschlossen, wie nur Liebschaften angeknüpft werden dürften.
„Die Welt!“ Was soll das Angstgestöhn? Wollt sie schön, so ist sie schön!
Vom höchsten Ordnungssinn ist es nur ein Schritt zur Pedanterie.
Der bedeutende Mensch ist ein Mensch, an dem viele andere sich klar werden. Er greift in ihr Unbewußtes und Unterbewußtes und stärkt dort das ihm Verwandte.
Der Ironiker ist meist nur ein beleidigter Pathetiker.
Und der ist nicht weise, der sich dünket, daß er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist.
Statt sehr geehrter Herr! könnte man doch viel einfacher schreiben: 5 e! Und statt hochachtungsvoll 2 o.
Alles für die Welt!
Nur im Fluß bleiben, nur nicht zur Spinne eines Gedankens werden.
Schönheit ist empfundener Rhythmus. Rhythmus der Wellen, durch die uns alles Außen vermittelt wird. Oder auch: Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Ein Kunstwerk schön finden, heißt, den Menschen lieben, der es hervorbrachte.
Oh, wer um alle Rosen wüsste, die rings in stillen Gärten stehen. Oh, wer um alle wüsste, müsste wie im Rausch durchs Leben gehen.
Ich sehe auf mich selbst zurück. Unzählige Gestalten huschen schemenhaft an mir vorüber.
Dem Steigenden werden Gärten der Schönheit Wüsten der Unbedeutendheit.
Wer sich groß verfehlt, der hat auch große Quellen der Reinigung in sich.
Ein Diletalent.
Ich lobe mir den Freund, der wachsen macht; vor trocknen Seelen nimm dich, Herz, in acht.
Mag sein, wir stehn an unseres Lebens Ende noch unterm Ziel – genug, der Weg ist klar!
Zuhause ist da, wo man dich wieder aufnimmt, auch wenn du mal etwas falsch gemacht hast.
Den seelischen Wert einer Frau erkennst du daran, wie sie zu altern versteht und wie sie sich im Alter darstellt.
Und das Verhaßteste von allem wird einst geschehen: Man wird mir „Milderungsgründe zubilligen“. („Er war ein guter Mensch, er wollte das Beste usw.“)
Sei mit dir nie zufrieden, außer etwa episodisch, so daß deine Zufriedenheit nur dazu dient, dich zu neuer Unzufriedenheit zu stärken.
Ich und du, einmal groß und einmal klein geschrieben – das ist die Weltformel. Ich und Du, und ich und du.