Christian Morgenstern Zitate
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Ich frage mich oft, welches der wünschenswertere Typus von beiden ist: der mehr geistige Mensch, für den es nichts Abstoßenderes gibt, als das Uninteressante, oder der mehr gemütliche, für den es schlechtweg nur Anziehendes und Abstoßendes gibt.
Es gibt gar keine Worte, die bloß Worte wären. Sondern jedes Wort ist von vornherein ein – höchst individuelles – Urteil. Man glaubt, a sei gleich a. Eine vollkommene Ungeheuerlichkeit.
Schriftstellerei ist heute vielfach nicht wichtiger zu nehmen, als daß, sagen wir, heute jedermann Kakao trinken kann, während es früher nur die Reichen konnten.
Es gibt ein sehr probates Mittel, die Zeit zu halten am Schlawittel: Man nimmt die Taschenuhr zur Hand und folgt dem Zeiger unverwandt.
Gelehrte Müßt ihr euch immer prügeln, wenn ihr aufs Forum wandelt, Könnt ihr euch nicht beflügeln, wenn ihr von Großem handelt?
Ich rechne nur nach Menschen, nicht nach Geschlechtern, außerdem bin ich kein Freund von Gemeinplätzen, wie etwa dem über Freundschaft und Liebe, denn ich gehe einfach den Weg, den ich vor mir rechtfertigen kann, nicht den, welchen mir irgend eine abgebrauchte Sentenz vorschreibt.
Wer die Welt nicht von Kind auf gewohnt wäre, müßte über ihr den Verstand verlieren. Das Wunder eines einzigen Baumes würde genügen, ihn zu vernichten.
Es gibt stillschweigende Voraussetzungen unter Menschen von Geist: die soll man nicht aussprechen. „Oberflächlich sein“ (oder scheinen wollen) „aus Tiefe“, das gehört hierher. Eine schwere Forderung an den Radikalismus der Jugend.
Daß ich nie in meinem Leben eine Schwester gehabt habe! Kein fremdes Weib kann dem Bruder ein solches Verhältnis ersetzen.
Wir sind alle Besessene, man muß das Wort nur wörtlich genug verstehen. Aber zugleich können wir auch Mehrer dieses uralten Besitzstandes sein, den wir „unsern Geist“ nennen, zugleich auch Besitzergreifende.
Jeder von uns hat etwas Unbehauenes, Unerlöstes in sich, daran unaufhörlich zu arbeiten seine heimlichste Lebensaufgabe bleibt.
Wann wird dies sein? Wann wird das sein? – Wann wir es uns verdient haben werden.
Wer auf „man“ sich gründen tut, der freilich baut auf Hauche.
Am Vollblut spürst du sofort, was Adel ist, beim Menschen wirst du’s nicht gelten lassen.
Geben und Nehmen, ein Gesetz aller Entwickelung.
Dass Güte nicht auch Schwäche sein könnte, behauptet niemand, dass sie es immer sei, nur ein Tor.
Ganze Weltalter voll Liebe werden notwendig sein, um den Tieren ihre Dienste und Verdienste an uns zu vergelten.
Niemand war und ist mir eine empfindlichere Geißel als der richterlich geartete Mitmensch. Er ist für mich der personifizierte böse Blick.
Und dann Phantasie. (Aber was wäre Phantasie ohne Mut?) Vielleicht ist Mangel an beiden eine der grundlegenden Lebensbedingungen, vielleicht kann der Mensch nur mit einem gewissen Quantum von Feigheit und Trägheit existieren.
Die Natur ist die große Ruhe gegenüber unserer Beweglichkeit. Darum wird sie der Mensch immer mehr lieben, je feiner und beweglicher er werden wird. Sie gibt ihm die großen Züge, die weiten Perspektiven und zugleich das Bild einer bei aller unermüdlichen Entwickelung erhabenen Gelassenheit.
Gespräch ist gegenseitige distanzierte Berührung.
Du bist ein Gymnaseweis, mein Lieber!
Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe. Lautlos schlummern Menschen, Tiere. Nur des Gipfels Gletschertruhe schüttet talwärts ihre Wasser.
Warum muß ich so unaufhörlich unter mir und anderen leiden! Meine Seele ist fortwährend das Spiel über sie hinziehender Schatten.
Den Gesellschaftsnarren Ihr lebt, wie’s euch der Kodex vorschreibt, und damit lebt ihr überhaupt nicht. Ich bin ein Mensch, der auf sein Tor schreibt: Der Mann hier folgt nicht, front nicht, glaubt nicht.
Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.
Nietzsche, die große Antithese seiner Zeit.
Wer die Welt zu sehr liebt, kommt nicht dazu, über sie nachzudenken; wer sie zu wenig liebt, kann nicht gründlich genug über sie denken.
Wehe und Wohl dem Menschen, der an keine Ungerechtigkeit mehr glaubt.
Sprich du zu mir, mein höher Du! Ich will mich ganz in dich verhören.
Einander kennen lernen, heißt lernen, wie fremd man einander ist.
Nimm dem Leben die harte Tragik, das tiefe Bewußtsein, daß alles vergänglich ist, und du nimmst ihm die Schönheit.
Man muß aufhören können zu fragen, im Täglichen wie im Ewigen.
Wir wollen uns nie so ganz zu besitzen glauben, daß wir uns nicht noch nach einander sehnen müßten.
Verzeiht, wenn manchen manches hart hier trifft, mein Pfeil soll treffen, doch er trägt kein Gift.
Es ist etwas Fürchterliches um einen Menschen, der leidet, ohne Tragik empfinden zu lassen.
So klein der Winkel, so groß der Dünkel.
An alle Himmel schreib ichs an, die diesen Ball umspannen: Nicht der Tyrann ist ein schimpflicher Mann, aber der Knecht des Tyrannen.
Ich habe wohl auch meine Zeit an die Großartigkeit unserer Epoche der Technik geglaubt, aber jetzt fühle ich nur noch das Eine: daß sie die Erde entzaubert, indem sie alles allen gemein macht.
Alles, im Kleinen und Großen, beruht auf Weitersagen.
Ich kann mit fertigen Menschen nichts anfangen. Es gibt fertigere Menschen denn mich, sicherlich ungezählte. Aber keiner ist fertig, soll je fertig sein.
Was ist Religion? Sich in alle Ewigkeit weiter und höher entwickeln zu wollen.
Entgöttlichung heißt Entpersönlichung, also Weltvergewöhnlichung.
Das Kleine in der Natur ist gewöhnlich größer als „das Große“. Denn das Kleine ist nur zu oft Gottesarbeit, wo das Große nur Götterwerk.
Wir sind nie wirklich aus dem Paradiese vertrieben worden. Wir leben und weben mitten im Paradiese wie je, wir sind selbst Paradies, – nur seiner unbewußt, und damit mitten im – Inferno.
Vergangenheit wie Zukunft sind nur Formen der Gegenwart.
Es gehört mit zum Seltsamsten, was es gibt: Das pure, lautere Gold liegt vor uns, um uns. Aber wir leben mit Blei, Kupfer, Zinn; von Minderem zu schweigen. Wir haben die Wahrheit wie die Sonne über uns und folgen Schatten und Gespenstern.
Es gibt so vieles Schöne, Gute, Wahre; wie bin ich dankbar, dass ich Mensch sein darf und immer Neues solcher Art erfahre!
Es gibt nichts Sinnverwirrenderes, als eines Tages zu entdecken, daß man als der und der lebt.
Wenn man zum Leben ja sagt, und das Leben selber sagt zu einem nein, so muß man auch zu diesem Nein ja sagen.