Anselm Vogt Zitate
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Während in anderen Zeiten der blinde Seher große Anerkennung genoß, macht in unserem Zeitalter der visuellen Medien der Typus des sehenden Blinden Furore.
Der Pragmatiker übernahm die Verantwortung, indem er sie an die Sachzwänge delegierte.
Beziehung: Die meist angestrebte Verschmelzung zu einer Einheit ist nicht die Vollendung, sondern das Ende jeder Beziehung, denn eine Beziehung setzt die Existenz zweier unabhängiger Personen voraus.
Wenn der Mathematiker die Mathematik verließ, wurde er unberechenbar.
Der Positivist war ein epistemologischer Nudist: Er schwärmte für nackte Tatsachen.
Erst überschritten die Enttabuisierer sämtliche Grenzen, um sich dann über mangelnde Grenzerfahrungen zu beklagen.
Führung: Lenkung anderer Menschen, die häufig von Personen beansprucht wird, die sich selbst nicht im Griff haben.
Das Abkürzungsunwesen, das besonders in bürokratischen Systemen blüht, dient der Mystifizierung des Banalen, das so den Nimbus des Geheimnisvollen und Respekterheischenden erhält.
Wer Nähe erleben will, muß sich immer wieder entfernen.
Der heutige Körperkult ist die Fortsetzung der abendländischen Leibfeindlichkeit mit anderen Mitteln.
Es gehört Lebenskunst dazu, seine Arbeit als Spaß zu erfahren und den Spaß nicht zur Arbeit geraten zu lassen.
Während einer Kur ist vieles anders – sogar die physikalischen Gesetze: So kommt es vor, daß ein Schatten zum einzigen Licht avanciert.
Hygiene kann tödlich sein, wenn sie zur „Säuberung“ pervertiert.
Fortschritt? Früher hatten die Menschen keine Wahl, heute entscheiden sie wahllos.
Understatement als Hochstapelei: Wenn einer sein bescheidenes Licht so lange unter den Scheffel stellt, bis man dessen geringe Leuchtkraft der Wirkung des Scheffels zuschreibt.
Er wollte nicht wegen seines Geldes, sondern um seiner selbst willen geliebt werden. Unglücklicherweise blieb nach Abzug seines Vermögens nichts von ihm übrig.
Armut. Dem Armen fehlen die Befriedigungsmöglichkeiten für seine Wünsche, während dem Reichen die Wünsche für seine Befriedigungsmöglichkeiten fehlen.
Erlahmte die Bewegung des Denkens, verließ sich der Dialektiker auf seine zuverlässigste Denkprothese: die Antithese.
Manchmal gewinnt man Zeit, indem man sie verstreichen läßt. Dies unterscheidet das geschickte Timing vom Zaudern.
Die Verfechter der heilen Welt gehen nicht selten über Leichen.
Kuren begünstigen die Schattenwirtschaft.
Heute: Unsere Realität ist im Heute. Das gilt auch für die ewig Gestrigen.
Der Individualismus macht aus der Not der Zufälligkeit unserer individuellen Existenz die Tugend der Unverwechselbarkeit.
Der Böse hat kein Gewissen, weil er amoralisch ist, der Gute hat kein Gewissen, weil er sich für das Gewissen hält.
„Der Sex ist tot“, behauptete der Sexualforscher, „der Tod ist sexy“, frohlockte der Nekrophile.
Lebenskräfte: Manche gehen so sparsam mit ihren Lebenskräften um, daß sie schließlich völlig unverbraucht sterben.
Der Romantiker erreichte sein Ziel, denn er kam niemals an.
Handlungsmenschen täte etwas Zweifel gut, Zweiflern gelegentliches Handeln.
Sinn von Talkshows: Sie demonstrieren dem Zuschauer die Banalität bedeutender Leute, um seinen Glauben an die Bedeutung der eigenen Banalität zu stärken.
Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten, erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung.
Der Glaube fördert die Moral, wenn er sich mit Demut paart, er führt zur Amoral, wenn er zu moralischer Hybris verführt.
Geist: Die Vorstellung, unser Gehirn sei ein komplizierter Computer, beruht auf der Verwechslung von Geist und Intelligenz.
Wenn Kutur tiefschürfend ist und unter die Oberfläche geht, handelt es sich oft um Subkultur.
Manche Morde erklären sich aus Langeweile. So z.B. das Totschlagen der Zeit.
Viele Rückschritte werden mit dem Fortschritt begründet.
Die Schwierigkeit des Glücks liegt darin, daß es weder völlig zufällig noch ganz herstellbar ist.
Die Liebe scheitert häufig, weil sie sich aus gegensätzlichen Komponenten zusammensetzt. Sie verlangt Kenntnis und Vertrauen, aber auch das Geheimnis, das durch die Kenntnis oft zerstört wird.
Maxime der Spaßgesellschaft: Liebe den nächst Besten.
Es gibt Seelenexhibitionisten, die Magenspiegelungen lieben, da sie den Magen für den Spiegel der Seele halten.
Der empirische Sozialforscher zählte die Fallbeispiele und vergaß darüber die Erfahrung.
Manche wundern sich, daß die Nachrichten über Untaten Wiederholungstäter provozieren. Doch darin zeigt sich der eigentliche Sinn des Wortes „Nachrichten“, demzufolge sich manche da nach richten.
Den nur Vorausschauenden sei gesagt: Auch aus Vorsicht ist gelegentlich Rücksicht geboten.
Manche Machtmenschen genießen in Liebesbeziehungen nicht die überwältigende Macht der Lust, sondern erfahren lustvoll die Macht der Überwältigung.
Ein Geheimnis bedarf der Öffentlichkeit, um den Status eines Mysteriums zu erhalten.
Rechtmäßiges Tun ist oft von recht mäßiger Gerechtigkeit.
Gehirn: Aus grauen Zellen bestehendes Gefängnis, in dem der Geist gefangen ist.
Der Humor ist die Souveränität des Geistes im Augenblick seines Sturzes.
Manche verwechseln das Bedürfnis nach Gesellschaft mit Liebe. Dies erklärt die Austauschbarkeit der Partner.
Lust: Er verfehlte die Lust, weil er den Schmerz vermeiden wollte.
Totale Askese ist schwer, aber der halbe Verzicht kostet die doppelte Anstrengung.