François de La Rochefoucauld Zitate
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Das Alter ist ein Tyrann, der bei Lebensstrafe alle Vergnügungen der Jugend verbietet.
Als Sterbliche ängstigt uns alles; doch alles begehren wir, als ob wir unsterblich wären.
Wir überreden uns oft, jene zu lieben, welche mächtiger sind als wir; nichtsdestoweniger ist es der Eigennutz, welcher unsere Freundschaft erzeugt. Wir geben uns ihnen nicht deshalb hin, um ihnen Gutes zu erweisen, sondern um des Guten willen, das wir von ihnen erwarten.
Die Begeisterung der Jungen schadet dem allgemeinen Wohl nicht mehr als die Lauheit der Alten.
Es ist schwer, die zu lieben, die wir nicht achten, aber nicht weniger schwer, jene zu lieben, die wir mehr achten als uns selbst.
Manche Irrtümer sind so trefflich als Wahrheit maskiert, daß man schlecht urteilt, wenn man sich von ihnen nicht täuschen läßt.
Nur die sind verächtlich, die sich vor der Verachtung fürchten.
Die Wunschlosigkeit glücklicher Menschen kommt von der Windstille der Seele, die das Glück ihnen geschenkt hat.
Die meisten jungen Leute glauben natürlich zu sein, wenn sie unhöflich und grob sind.
Oft glaubt der Mensch, sich selbst zu führen, wenn er geführt wird, und während sein Geist nach einem Ziel strebt, führt ihn sein Herz unmerklich einem andern zu.
Manches Schöne ist unvollendet reizvoller als allzu vollendet.
Die Erziehung, die man gewöhnlich den jungen Menschen gibt, ist nur eine zweite Eigenliebe, die man auf sie überträgt.
Höflichkeit ist der Wunsch, höflich behandelt und für fein und gesittet gehalten zu werden.
Es gibt wenige Menschen, die sich nicht schämten, einander geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben.
Der Grund, warum Verliebte sich nie langweilen, wenn sie zusammen sind, ist, daß sie immer von sich selber reden.
Die Theorie wird leicht mit den vergangenen und künftigen Problemen fertig; vor den gegenwärtigen ist sie machtlos.
Die Ruhe oder Erregtheit unseres Gemütes hängen nicht so sehr von großen Ereignissen unseres Lebens ab als von einer angenehmen oder unangenehmen Gruppierung der geringfügigsten Dinge, die uns alle Tage begegnen.
Geleimte Freundschaften müssen vorsichtiger behandelt werden, als nie zerbrochene.
Kein Streit würde lange dauern, wenn das Recht oder das Unrecht nicht auf beiden Seiten wäre.
Der Ruhm großer Männer sollte stets an den Mitteln gemessen werden, mit denen sie ihn erworben haben.
Eigenliebe ist klüger als der klügste Mann der Welt.
Es ist leichter, Liebe zu finden, wenn man sie nicht hat, als sich von ihr zu lösen, wenn man sie hat.
Wir finden in den Unannehmlichkeiten unserer besten Freunde immer etwas, das uns nicht mißfällt.
Es gibt Helden im Bösen wie im Guten.
Schmeichelei ist eine falsche Münze, die ihren Kurswert nur durch unsere Eitelkeit erhält.
Man lobt nicht gern und niemals ohne eigenes Interesse.
Es ist schwer zu beurteilen, ob ein reines, redliches Betragen aus Reinlichkeit oder Klugheit entspringt.
Erst unser Herz gibt den Fügungen des Schicksals ihren Wert. Wirklich gewandt sein, heißt den Preis der Dinge kennen.
Die Beständigkeit in der Liebe ist eine dauernde Unbeständigkeit.
Wer ohne jede Narrheit lebt, ist nicht so weise, wie er glaubt.
Frauen sind oft nur anständig aus Liebe zu ihrem Ruf oder ihrer Ruhe.
Kein Ereignis ist so unglücklich, daß kluge Leute nicht irgendeinen Vorteil daraus zögen, und keines so unglücklich, daß es ein Dummkopf nicht zu seinem Nachteil kehren könnte.
Schlechte Eigenschaften sind oft der Nährboden für große Talente.
Liebe und Klugheit sind nicht füreinander gemacht: Wächst die Liebe, so schwindet die Klugheit.
Die große Eile, die man zeigt, um sich einer Verpflichtung zu entledigen, ist eine Art von Undank.
Man macht sich durch die kleinste Untreue, die man uns antut, mehr bei uns verhaßt als durch die größte, die andere trifft.
Ein Dummkopf hat genug Stoff, um gut zu sein.
Der Grund, weswegen wir neue Bekanntschaften so lieben, ist nicht, daß wir der alten müde sind oder das Vergnügen am Wechsel, sondern der Widerwille, daß wir von jenen, die uns allzu gut kennen, nicht genug, und die Hoffnung von jenen, die uns nicht so gut kennen, mehr geschätzt werden.
So mißtrauisch wir auch gegen die Aufrichtigkeit derer sein mögen, die mit uns sprechen, so glauben wir doch stets, daß sie gegen uns wahrer sind als gegen andere.
Nicht immer sind es Mut und Keuschheit, die die Männer mutig machen und die Weiber keusch.
Beschränktheit des Geistes erzeugt Rechthaberei und nicht leicht reicht unser Glaube weiter als unser Auge.
Sind wir einer Liebe müde, so freuen wir uns über die Untreue, die uns von unserer Treue erlöst.
Guter Anstand ist dem Körper, was Mutterwitz dem Geist ist.
Anmut ist für den Körper, was ein wacher Sinn für den Geist ist.
Es gibt gewisse Fehler, welche, gut dargestellt, besser glänzen als Tugenden.
Der Eigennutz spricht allerhand Sprachen und spielt allerhand Rollen, sogar die des Uneigennützigen.
Es ist leichter, der Ämter würdig zu erscheinen, die man nicht besitzt, als derer, die man bekleidet.
Die natürliche Wildheit macht die Menschen nicht annähernd so grausam wie ihre Eigenliebe.
Wer sich zuviel mit dem Kleinen abgibt, der wird gewöhnlich unfähig fürs Große.
Es ist ebenso leicht, sich selbst zu täuschen, ohne es zu merken, wie es schwer ist, die andern zu täuschen, ohne dass sie es bemerken.