Christian Morgenstern Zitate
seite 7
Ich meine, es müßte einmal ein sehr großer Schmerz über die Menschen kommen, wenn sie erkennen, daß sie sich nicht geliebt haben, wie sie sich hätten lieben können.
Ich will den Menschen nicht schiffbrüchig sehen, aber er sollte dessen bewußt sein, daß er auf einem Meere fährt.
Möchten sich doch alle darüber klar werden, daß wir außer Männchen und Weibchen auch noch Menschen sind.
Es gibt Menschen, welche Schlagworte wie Münzen schlagen, und Menschen, welche mit Schlagworten wie mit Schlagringen zuschlagen.
Was du andern zufügst, das fügst du dir zu.
Gestorbenes Wort: Zufall.
Darum können Zeitungen so sehr schaden, weil sie den Geist so unsäglich dezentrieren, recht eigentlich zerstreuen.
Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.
Ist es auch ein Duft von Blumen nur, macht es holder doch der Erde Flur wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.
Wir brauchen nicht so fort zu leben, wie wir gestern gelebt haben. Macht Euch nur von dieser Anschauung los und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.
An jeden guten Gedanken, jede gute Empfindung einen Stein hängen, sie verankern. Damit zusammenhängend: Seßhaft werden, Tempobändigung, Tempobeherrschung.
Auf einem Wandkalenderblatt ein Leu sich abgebildet hat. Er blickt dich an, bewegt und still, den ganzen 17. April. Wodurch er zu erinnern liebt, daß es ihn immerhin noch gibt.
Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.
Schließlich und endlich: was vermisse ich unter meinen Mitmenschen am meisten? Wirkliche, wirkliche Phantasie.
Es entsteht jedes Mal ein bedeutendes Schütteln des Kopfes, wenn ein absonderlicher Mensch durch das Mittel einer großen künstlerischen Begabung in die Welt hinausgreift.
Faß das Leben immer als Kunstwerk.
Alles Schöne macht Durst nach noch vollkommenerer Schönheit und Vollkommenheit.
So schimmert ein Birkenwäldchen durch Kiefern, wie deine ferne Jugend in und durch meine Gedanken.
Die Ameisen oder Emsen sind so weit jetzt, dass sie Gemsen sich als Sklaven halten (aus Gründen ihres Körperbaus).
Mein Herz kommt mir heute vor wie ein Pfefferkuchenherz, das lange im Nassen gelegen hat.
Jeder muß seinen Mann haben, der ihm über die Schulter sieht, und dieser wieder seinen und so fort. Das ist nur gut und billig; so allein kommt der Mensch vorwärts.
Es gibt keinen strengeren Erzieher als den Ehrgeiz. Wobei freilich außer Betracht bleibt: wozu?
Der Nenner, auf den heute fast alles gebracht wird, ist Egoismus, noch nicht – Liebe.
Wenn ich sitze, will ich nicht sitzen, wie mein Sitz-Fleisch möchte, sondern wie mein Sitz-Geist sich, säße er, den Stuhl sich flöchte. Der jedoch bedarf nicht viel, schätzt am Stuhl allein den Stil, überläßt den Zweck des Möbels ohne Grimm der Gier des Pöbels.
Mein Satz: Dummheit als absolut notwendiges Retardivum.
Einen Krieg beginnen heißt nichts weiter, als einen Knoten zerhauen, statt ihn aufzulösen.
Es gibt keine wohlfeile Liebe.
Leide an mir, so spricht selbst noch das Liebste zu uns.
Der Mensch ist mein Fach und hier will ich bis zum Äußersten gehen.
Es gibt keine Grenzen der Dinge.
Im Hochgebirge Die Menschen klein, den Menschen groß Vom Felsen hoch zu sehn, so lieb‘ ich’s mir: Das sprießt und wimmelt aus der Erde Schoß – Und mächtig ringt das Ich sich aus dem Wir.
Die zur Wahrheit wandern, wandern allein.
Denke dir einen Teppich aus Wasser. Und als die Stickerei dieses Teppichs die Geschichte des Menschen.
Eine Hauptsache bei vielem ist, daß stets der Anschein äußerster Wichtigkeit erweckt wird.
Über all meinen Werken soll es wie ein großes Verstehen liegen – und davon werden viele glücklich werden.
Gott ist nur ein Wort für „sich“. Das Tier hat keines dieser beiden Worte. Es ist wortlos sowohl Ich wie Gott, das Wort erst spaltet das Leben in Ich und Gott.
Der Welt Schlüssel heißt Demut. Ohne ihn ist alles klopfen, horchen und spähen umsonst.
Weh dem Menschen, wenn nur ein einziges Tier im Weltgericht sitzt.
Ein Verallgemeinern ist oft ein Verkleinern.
Mit jedem Worte wachsen wir.
Große geschriebene Worte sind vergeistigter Zeugungsakt in Perpetuum.
Wenn ich heute stürbe, glaube ich, alt genug geworden zu sein. Ich bin dann wenigstens alt genug geworden, um sterben zu können.
Wer am Menschen nicht scheitern will, trage den unerschütterlichen Entschluß des Durch-ihn-lernen-Wollens wie einen Schild vor sich her.
Das tränensäcksische A.
Mein Hauptorgan ist das Auge. Alles geht bei mir durch das Auge ein.
Man weiß, wie wichtig es ist, Schwangeren harmonische Verhältnisse zu schaffen. Sollte es anders sein mit der Menschheit, die sich fortwährend im Zustande der Mutterschaft befindet?
Nichts ist für mich mehr Abbild der Welt und des Lebens als der Baum. Vor ihm würde ich täglich nachdenken, vor ihm und über ihm.
Den Wolken wird vielleicht einstmals eine besondere Verehrung gezollt werden; als der einzigen sichtbaren Schranke, die den Menschen vom unendlichen Raum trennt, als der gnädige Vorhang vor der offenen vierten Wand unserer Erdenbühne.
Jeden Tag seines Lebens eine feine, kleine Bemerkung einzufangen – wäre schon genug für ein ganzes Leben.
Sieh her mein Kind und lerne diese Zweiheit: Den Hang zur Güte und den Drang zur Freiheit.