Christian Morgenstern Zitate
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Aber liegt nicht in jedem großen Augenblick, gleichviel ob er hell oder dunkel, richtig oder falsch, ein Glück?
Es ist mit der Weltenuhr wie mit der des Zimmers. Am Tage sieht man sie wohl, aber hört sie fast gar nicht. Des Nachts aber hört man sie gehen wie ein großes Herz.
Prüfe gelegentlich deine Adjektiva nach.
Es ist wohl gerade in unserer aufgeregten Epoche mehr denn je nötig, den Blick aus den Tagesaffären hochzuheben und ihn von der Tageszeitung weg auf jene Zeitung zu richten, deren Buchstaben die Sterne sind, deren Inhalt die Liebe und deren Verfasser Gott ist.
O meine Hand, du seltsames Geschöpf, du warst mir immerdar ein Angelhaken der Meditation. Wenn ich in deine Schale blicke, meine ich ein Geistgebilde zu schauen.
Manchmal wird mir die ganze Psychologie verdächtig, wenn ich bemerke, daß auf eine richtige Kombination schon bei den alltäglichsten Dingen so und so viele falsche kommen. Ja, wenn ein Mensch im Prinzip so denken und empfinden müßte, wie die andern!
Wer die Grausamkeit der Natur und der Menschen einmal erkannt hat, der bemüht sich, selbst in kleinen Dingen wie dem Niedertreten des Grases schonungsvoll zu sein.
Man könnte eine Bibliothek schreiben von den Selbsttröstungen Gottes.
Ein berühmter Arzt ist wie eine junge Millionenerbin. Er weiß nie, wie weit man ihn als Menschen und nicht nur als Arzt liebt.
Man verliebt sich oft nur in einen Zustand des anderen, in seine Heiterkeit oder in seine Schwermut. Schwindet dieser Zustand dann, so ist damit auch der feine besondere Reiz jenes Menschen geschwunden. Daher die vielen Enttäuschungen.
„Trostlos?“ Das Wort ist mir entschwunden, seitdem ich mich in mir gefunden.
Blödem Volke unverständlich treiben wir des Lebens Spiel.
Heute sehen die Menschen noch nicht den Raum, sie sehen den Himmel, aber noch nicht den RAUM.
Bewußtsein: Wir stehen an einem Ende, wir sind ein Anfang.
Spannung ist alles und Entladung. Und höchste Lebensweisheit seine Spannungen immer richtig zu entladen.
Es ist bekannt, wie viele verlorenen Nadeln sich täglich auf Weg und Steg finden lassen. Im äußersten Gegensatz hierzu würde, gesetzt auch geistige Dinge könnten in solcher Weise verloren gehen, täglich wohl kaum ein Paar Scheuklappen gefunden werden.
Das ist meine allerschlimmste Erfahrung: Der Schmerz macht die meisten Menschen nicht groß, sondern klein.
Wer tief ist, muß sich schämen, sich so zu zeigen.
Alles ist richtig, was wir von jetzt ab tun, sofern wir nur vertrauen.
…der Trabant – ein völlig deutscher Gegenstand.
Jedem, der seine Gedanken niederlegt, blickt schon im Augenblick des Schreibens ein Größerer über die Schulter, sei es ein Vergangener, Lebendiger, oder noch Ungeborener. Wohl dem, der diesen Blick fühlt: Er wird sich nie wichtiger nehmen, als ein geistiger Mensch sich nehmen darf.
Nur der Erkennende lebt.
Der Russe hat mehr die Liebe zum Leben, wie es ist, der Deutsche mehr die zum Leben, wie es sein sollte, könnte, müßte.
Im Schachspiel offenbart sich durchaus, ob jemand Phantasie und Initiative hat oder nicht.
Geduld, du ungeheures Wort! Wer dich erlebt, wer dich begreift, erlebt hinfort, begreift hinfort, wie Gottheit schafft, wie Gottheit reift.
Das Ich ist die Spitze eines Kegels, dessen Boden das All ist.
Ich weiß, warum ich mich verbeiße ins bunte Schürzentuch der Welt, (…) denn sieh: Ich glaube nichts von allen den Geisterwelten, die du nennst.
Menschen, die im wesentlichen dieselbe Straße ziehen, sollen es nicht mit verkniffenen Mienen und heimlichen Rückhalten tun.
Wie mancher Gedanke fällt um wie ein Leichnam, wenn er mit dem Leben konfrontiert wird.
Manche Menschen machen sich vor anderen so klein wie möglich – um größer als diese zu bleiben.
Als ein wesentliches Merkmal der Menschen möchte ich ihre ethische und ästhetische Anspruchslosigkeit bezeichnen.
Wie die Gefahr des Tauchers der Tintenfisch, so des Grüblers die Melancholie.
Jedes Buch hat zwei Wirkungen, die mittelbare und die unmittelbare. Die meisten Leser spüren nur die mittelbare. Darum bleiben auch so viele Bücher Druckerschwärze auf Papier.
Bilden die Stillen im Lande keine Partei, und ist es ihre Schuld, daß die höchsten Geister, die sie als Führer verehren und wählen, im Land- und Reichstage sich nicht einordnen lassen, weil sie im Parlament der Menschheit sitzen?
Gott wäre etwas gar Erbärmliches, wenn er sich in einem Menschenkopfe begreifen könnte.
Der österreichische Dialekt ist darum so hübsch, weil die Rede beständig zwischen Sichgehenlassen und Sichzusammennehmen hin und her spielt. Er gestattet damit einen durch nichts andres ersetzbaren Reichtum der Stimmungswiedergabe.
Wir sollten immer nur charakterisieren wollen, nie kritisieren.
Wenn Du einen besonders schönen Vogel findest und Du willst ihn behalten, dann lass ihn fortfliegen, wenn er zurückkommt, dann gehört er Dir, wenn er fort bleibt, wäre er nie Dein Vogel gewesen.
Geist? Der ist heute eine Mangelware, wer redet schon davon? Ein wirklich eigener Gedanke aber ist immer noch so selten wie ein Goldstück im Rinnstein.
Was du denkst und sagst, ist vor allem Ausdruck. Der sogenannte eigentliche Sinn des Gesagten ist nicht sein einziger Sinn.
Das macht den Deutschen von heute so unbeliebt: Er beruft sich bei jeder Gelegenheit auf seine „Geistesheroen“, die doch fast immer nur im Gegensatz zu ihm gelebt haben, und ist dabei genau so auf seinen Vorteil bedacht wie der Nachbar.
Es ist bitter, sich sagen zu müssen, daß man zwischen 35 und 45 zu erledigen hat, was man zwischen 45 und 60 hätte sollen erledigen können.
Das eine und einzige Gebot: Du darfst alles tun, was du willst, aber bedenke, daß du es dir selbst tust. Wenn du meinst, es dir selbst tun zu dürfen, so tue selbs das Äußerste. Dies Gebot hindert kein Schaffen oder Zerstören.
Der Mensch ist ein Exempel der beispiellosen Geduld der Natur.
Sich immer am Leben korrigieren.
Die Menschenverachtung ist für den nachdenkenden Geist nur die erste Stufe zur Menschenliebe.
Die Sterne lauter ganze Noten. Der Himmel die Partitur. Der Mensch das Instrument.
Briefe sind Stimmungskinder, und Stimmungen waren von jeher meine force.
Über etwas schreiben heißt, sich mit etwas überschreiben.
Wage zu irren, in hundert Einzelheiten, was verschlägt’s! Weißt du dich nur im wesentlichen sicher.