Rainer Kohlmayer Zitate
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Akademisches Gleichgewicht des Schreckens. – „Ich werde Sie zitieren!“ – „Ich Sie auch!“
Do you speak English? – „Hi!“ sagte der Tiefseetaucher und hob grüßend die Hand. Der Hai schnappte zu.
Moral Aid(s). – Virtus aut virus.
Hosen runter. – Tatsachen sind nackt. Lügen dagegen erkennt man daran, daß sie sich keine Blöße geben wollen.
Homo scribens. – Alles Geschriebene ist Teil eines jahrtausendelangen Fortsetzungsromans: Keine Pointe, die nicht verwässert, kein Quark, der nicht stark gemacht würde. Der Turm von Babel besteht aus Büchern.
Paradoxe Symmetrie. – Reichtum und Armut haben eines gemeinsam: Beide sind Vergrößerungsgläser für Tugenden und Laster.
Stilfragen. – Es ist oft schwer zu unterscheiden, ob ein komplizierter Stil die Folge gedanklicher Komplexität ist – oder ob es sich um Stelzen handelt. Klare Gedanken können sich Transparenz leisten; sie verzichten auf sekundäre Legitimation.
Zum Systembauen gehören Ausdauer und Verblendung – im Idealfall ein Retortenhirn, das von einem Oberlehrer kommandiert wird. Zum Systemzerstören eignen sich besonders Kinder, Narren und schöne Frauen.
Prof. Dr. XY. – Er hatte alles gelesen und alles gelernt. Nur eines nicht: Subjekt seines Wissens zu sein.
Theater aus der Sicht des Schauspielers. – Einübung in die Vergänglichkeit.
Mauer und Scheidung. – Seit dem Erfolg der Familienzusammenführung und der deutschen Wiedervereinigung steigt die Scheidungsrate unaufhaltsam.
Eugenetik. – Seit Beginn der Menschheit betreibt diese ein eugenetisches Programm zur Züchtung des Übermenschen: die ehrgeizige Verbindung von Ehe, Liebe und Kindererziehung.
Berufserfahrung. – „Bei uns läuft viel in Teamarbeit“, verkündet der Chef. „Haben Sie darin Erfahrung?“ „O ja“, sagt die Neue. „Ich war immer gern intim.“
Perücke auf der Zunge. – Der Schönredner frisiert seinen Atem mit verbalen Dauerwellen, charmanten Intonationssträhnen und Schmachtlöckchen schmeichelnden Adressatenbezugs. Für den Erfolg braucht er allerdings gedankenlose Zuhörer.
Erziehungserfolg. – „Willst du sofort spontan sein!“ Sofort war Peterchen spontan.
Gattungsprobleme. – Liebesroman: sie kriegen sich. Ehedrama: sie be-kriegen sich.
Die Natur feiert jeden Morgen Premiere.
Makabre Dialektik. – Daß die erste Silbe des wichtigen deutschen Wortes „sauber“ ausgerechnet „sau“ lauten muß! Ähnlich abgründige Beziehungen bestehen zwischen „sterben“ und „erben“, „treue“ und „reue“, „hoden“ und „oden“, „heiter“ und „eiter“, „werde“ und „erde“. Es ist zum Karl-Valentin-werden!
Translatorische Rezeptionsanalyse, target-oriented. – Was ist hohe Literatur? Literatur für höhere Kreise. Was ist niedere Literatur? Lektüre für die Unterschicht. Was ist also Bratwurst? Es ist das, was Bratwurst-Esser essen.
Von Geschmack reden diejenigen am meisten, die von Kunst keine Ahnung haben.
Wegweiser. – Erst spät erkannte er, daß die großen geistigen Wegweiser keinen Weg weisen, sondern nur weg weisen: Wer weise ist, soll schnell seiner eigenen Wege gehen. „Weg, Weiser!“
Insektenforscher und Urologen liefern sich seit Jahren einen erbarmungslosen Kampf über die Priorität der Entdeckung der Urinsekten.
Bescheiden wie immer. – „Vielleicht sollte ich, da ich womöglich nicht der richtige Mann für so ein wichtiges Amt bin, besser verzichten. Andererseits ist es meine Pflicht, mich nicht leichtfertig aus der Verantwortung zu stehlen…“
Madonna der permissiven Gesellschaft. – Die eilige Jungfrau.
In der Komik protestiert die Wirklichkeit gegen den Realismus.
Nostalgie hat immer Zukunft. – Hinter seiner Zeit zurückbleiben kann genau so befriedigen wie ihr voraus sein. Welcher intelligente Mensch gäbe sich schon damit zufrieden, nichts als Zeitgenosse der Gegenwart zu sein.
Marktlücke für arbeitslose Musiker. – „Es gibt Vokalquartette und Vokalkonzerte, aber leider noch keine Konsonantenquartette und Konsonantenkonzerte. Wär das nichts für Sie?“ „Brrrrchchchhchch!“
À la carte. – Er suchte die Einsamkeit, um wieder einmal über seine sozialen Pflichten nachzudenken.
Schwierigkeiten mit dem deutschen Präteritum. – Vergessen, vergasen, vergessen.
Offene Türen, die nicht ständig eingerannt werden, werden leicht zugemauert.
Ich gehe davon aus, daß… – Der eigene Standpunkt ist doch immer der springende Punkt bei jeder Argumentation.
Jungwissenschaftler auf der Suche nach einer Seilschaft. – Sein Aufsatz besteht aus Verbeugungen in alle Himmelsrichtungen und endet mit einem höflich lächelnden Abgang – nach rückwärts auf allen Vieren.
„und/oder“. – Eine der irritierendsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts ist die Konjunktion „und/oder“. Wenn man sich die logische Abkürzung als Wegweiser vorstellt, erblickt man ein Denkmal der Orientierungslosigkeit.
Madame de Staels berühmter Additionsfehler. – „Volk der Dichter und Denker.“
Gewichtung. – Ein Gramm Liebe wiegt schwerer als eine Tonne Talent.
Who is Who? – Bei Demonstrationen kommt es manchmal zu Schlägereien zwischen Polizisten in Zivil und uniformierten Demonstranten. Durch eine engagierte Presseberichterstattung kann das Verwirrspiel dann noch weiter verkompliziert werden.
Magritterie. – Wahrheit nagt am Rand der Wirklichkeit. Wirklichkeit nagt am Rand der Wahrheit.
Karriereknick. – Ich habe nie etwas angestellt, darum durfte ich Angestellter werden. Ich habe nie viel vorgestellt, daher durfte ich Vorgesetzter werden. Als ich vieles abstellen wollte, hat man mich abgesetzt.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Einwohnern Deutschlands? – Die Nachrichten unterscheiden zwischen „Personen“, „Menschen“ und „Bürgern“. Ob das immer mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
Familienstand? – „Mittelmäßig“, schrieb ein ehrlicher Kandidat ins Kästchen des Fragebogens.
In der Wissenschaft beruht jede Gewißheit der Behauptung auf einer gewissen Ahnungslosigkeit.
Spätherbst, wenn die Baumskelette sichtbar werden. – Das Leben ist eine vorübergehende Verschleierung tödlicher Wahrheiten.
Theorie und Praxis. – Geisteswissenschaftler sprechen von Kreativitätsmodellen und dergleichen im Brustton der Überzeugung. Wenn sie dann praktische Beispiele geben sollen, ertönt plötzlich eine dünne Fistelstimme.
Zwischen Kunst und Geschmack gibt es durchaus Verbindungen; die engste ist wohl die zwischen Kunst und – Geschmacksverletzung.
Startschuß zum Rentenalter. – „Los! – Fertig!! – Auf die Plätze!!!“
Mediensprache. – Sprache im öffentlichen Dunst.
Gemeinschaft macht stark. – Nichts garantiert das gegenseitige Verstehen und Vertrauen so zuverlässig wie die gemeinsame Ignoranz.
Nuancen der deutschen Sprache. – Mit über setzen bezeichnet man die Fahrt ans andere Ufer, mit über setzen die Hin- und Rückreise.
Psychotheater. – Die Figuren haben kein Unterbewußtsein – sie sagen absolut alles. Also müßten sie eigentlich geheilt sein. Aber sie reden weiter. Ihre Krankheit ist ihre Geschwätzigkeit.
Miß-verständnis. – Als gerade von einer Mißernte die Rede war, mischte sich der schwerhörig gewordene Casanova ins Gespräch. „Ich habe früher auch manche Miß geerntet.“