Anselm Vogt Zitate
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Hinter tiefer Bräune verbirgt sich oft Farblosigkeit.
Der Visionär verlor seine Anhänger an die Television.
Im aphoristischen Raum ist der schräge Gedanke die kürzeste Entfernung zwischen zwei Pointen.
Wir leben den Dingen gegenüber, verdammt zur Beobachterrolle, unsere Sehnsucht nach Nähe ist letztlich eine nach Selbstaufgabe. Nähe ohne Distanz führt zur Konturlosigkeit; so wird auch unser Ichbild diffus, wenn wir nicht mehr den Umweg über den distanzierenden Blick der Anderen nehmen.
Manche gute Idee muß weniger gegen ihre Feinde als gegen ihre Anhänger in Schutz genommen werden.
In der Liebe gibt es drei Typen: Der Erste möchte besitzen, der Zweite besessen werden, der Dritte ist vom Besitzenwollen besessen.
Wir Menschen tragen unvermeidlich Masken. Vorsicht ist daher vor allen vor der Maske der Maskenlosigkeit angezeigt.
Frieden: Das Kalkül des Pazifisten setzt darauf, daß die Selbstentwaffnung entwaffnend wirkt, aber sie könnte den Gegner erst zum Einsatz der Waffen ermutigen.
Erfolg der neurobiologischen Entlarvung des Ich als Fiktion: Wissenschaftsgläubige delegieren nun die Mühe des Denkens an das Gehirn und wundern sich, daß es ohne sie nicht tätig wird.
Feste waren einst Unterbrechungen des Alltags, in der Spaßgesellschaft unterbricht der Alltag zuweilen die Feste.
Was bedeutet Horizonterweiterung durchs Internet? Provinzialisierung der Welt zum „global village“.
Charakter: Manche verwechseln Unbelehrbarkeit mit Charakterstärke.
Der Dolmetscher hatte ein Problem: Das, was Politiker nicht sagen, zu übersetzen.
Der Theologe entmythologisierte so gründlich, daß schließlich auch Gott auf der Strecke blieb.
Die Errichtung des Rechtsstaates beruht auf der Einsicht, daß der Staat nicht immer recht hat.
Leben: Viele sind von der Lebensvermeidung so angestrengt, daß sie verlebt aussehen.
Die Ironie ist die Lust an der Distanz zu Dingen, deren Nähe Unlust erzeugt.
Lebenskunst: Es gehört zur Lebenskunst, sie nicht durch die Frage nach dem Lebenssinn vom Leben abhalten zu lassen.
Die antiautoritären Erzieher forderten zum Widerspruch auf und wundern sich nun über die Autoritätssucht vieler Nachwachsender.
Warum sind sich die Menschen in unserer Zeit so fern? Vielleicht, weil sie so distanzlos geworden sind.
„Ich habe keine Zeit“ sagte er, – die Zeit hatte ihn.
Die Verdrängung der Metaphysik führte zur Identifikation der Welt mit ihrer äußeren Erscheinung. Seitdem verkommt Weltverbesserung zur Kosmetik.
Wahre Freundschaft führt zur intimen Kenntnis einer Person, Erotik häufig nur zur Kenntnis des Intimen.
Geiz ist geil: In diesem Spruch vereinigt sich die Spaßgesellschaft mit dem Spießertum der fünfziger Jahre.
Für Esoteriker ist der gegenwärtige Zeitgeist Geisterzeit.
Erst vertreiben wir die Zeit und wundern uns dann, daß sie flüchtig ist.
Neid als Wurzel des Rassenhasses? Nicht wenige, die keine Tortur scheuen, um sich zu bräunen, hassen farbige Menschen.
Die Schwierigkeit, leere, unerfüllte Zeit zu ertragen, weist nicht auf die Unerträglichkeit der Zeit als solcher, sondern auf die unangenehme Erfahrung der Konfrontation mit uns selbst hin.
In der Kunst sind Erfolg und Mißerfolg sprachlich benachbart: Entweder ausgestellt oder ins Aus gestellt.
Oft sind es die Grundsätze, die die Bodenlosigkeit von Gedankengebäuden offenbaren.
Grundsätze: stellen Verbindlichkeit durch Unverbindlichkeit her.
Der neue Testwahn führt zur Verengung des Bildungsbegriffs auf das, was sich dem „multiple choice“ erschließt.
Erlittene Nachteile infolge mangelnder Vorsicht glich er durch fehlende Nachsicht aus.
Manuskripten geht es wie Lebewesen. Sie gehen irgendwann ein. Ihre Sterbeurkunde ist die Eingangsbestätigung durch den Verlag.
Die Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft führt zur Verherrlichung der Jugend, denn sie treibt durch Kindermangel den Marktwert der „Jugend“ ins Unermeßliche.
Geist: Paradoxerweise wird die Existenz des Geistes nicht von Geistlosen, sondern häufig von solchen geleugnet, die über viel Geist verfügen.
Evolutionärer Vorteil einer Behinderung: Kurzsichtigkeit fördert zuweilen die sexuelle Appetenz.
Der idealistische Weltverbesserer mordete aus enttäuschter Liebe zum Menschen.
Fundamentalismus: Weltanschauliche Orientierung, die Gedanken vom Grunde her auf bauen will und dabei alles niederreißt.
Es gibt Frauen, deren Reiz sich jeder sinnlichen Wahrnehmung entzieht.
Zu viele Menschen glauben, die Wahrheit zu besitzen, anstatt von der Wahrheit besessen zu sein.
Unsere authentischen Äußerungen sind so echt, daß wir uns nur ungern darin wiedererkennen.
Messen: Die Vermessung der Intelligenz schafft wenig Klarheit über die geistige Kapazität, aber fördert manchmal die Vermessenheit.
Die eine Hälfte der Pazifisten verfehlt den Frieden, weil sie nicht für ihn zu kämpfen bereit ist, die andere Hälfte verfehlt ihn, weil sie für ihn kämpft.
Alle leben nur einmal, aber den Wenigsten ist es vergönnt, einmalig zu sein.
Begehren: Das paradoxe Streben nach Anwesenheit eines Objekts, das seinen Reiz nur seiner Abwesenheit verdankt.
Das Eigentum fördert nicht – wie der Liberalismus wähnt – das Gemeinwohl, sondern das Wohl der Gemeinen.
Fehler: Der größte Fehler ist die Unfehlbarkeitsanmaßung.
Aktualität der Zahlenmystik: Der Identitätsverlust war früher ein philosophisches Problem, heute reduziert sich das Identitätsproblem häufig auf den Verlust der Pinnummer.
Manch banales Gespräch nennt man Gedankenaustausch, obwohl es bestenfalls die Austauschbarkeit der Gedanken bezeugt.