Anselm Vogt Zitate
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Die an Gott Zweifelnden wurden Humanisten, die am Menschen Zweifelnden wurden Tierschützer.
Heute ist die Idee der Nächstenliebe nicht einmal mehr eine Utopie. Der moderne Hedonist strebt nur noch nach der nächsten Liebe.
Zwischenmenschliche Reibungen sind unfruchtbar, es sei denn, sie führten zur Fortpflanzung.
„Hat das Leben einen Sinn?“, fragte der Monist. „Hätte es nur einen, dann hätte es keinen“, meinte der Pluralist.
Die Flucht in die Multioptionalität beseitigt nicht die Versäumnispanik, denn es besteht die Gefahr, daß das Möglichkeitswesen die Wirklichkeit versäumt.
Hochbegabtenförderung: Man produziere mittels permissiver Erziehung Verhaltensstörungen und diagnostiziere sie sodann als Zeichen von Hochbegabung.
Die Sprache ist verräterisch: Kultur scheint sich in Deutschland auf den Bereich der Körperpflege, den „Kulturbeutel“, zu konzentrieren, der in Frankreich noch zur Sphäre des Notwendigen, zum „Necessaire“, zählt.
Die Liebe wurde in der Moderne zur Ersatzreligion, die Biochemie zur Religionskritik, indem sie die Liebe als Wirkung gehirneigener Drogen entlarvte.
Manche Vernissage dient weniger der Darstellung von Kunst als der Kunst der Selbstdarstellung.
Aus der Irritation angesichts der Vielfalt flüchtet der Mensch in die Sicherheit der Einfalt.
Wie kann man als Ehrlichkeitsfanatiker überleben? Indem man anderen die Wahrheiten sagt, die man selber nicht erträgt.
Der vollendete Hedonismus ist der Tod der Lust. Nach der Tötung der Lust bleibt häufig nur noch die Lust am Tod.
Die technokratischen Bildungsreformer haben durch sogenannte Lernstandserhebungen den Stillstand der Bildung in Deutschland besiegelt.
Der Ordnungsliebhaber verhinderte das von ihm gefürchtete Durcheinander, indem er seine Gedanken zu einer Art Isolationshaft in geistigen Schubladen verurteilte.
Gedankengebäude verdanken ihre Statik oft nicht dem Gewicht der aufeinander aufbauenden Gedanken, sondern dem Zement des Dogmatismus.
Durchschnitt: Manche nehmen selbst den Wahnsinn in Kauf, um der Durchschnittlichkeit zu entgehen.
Durch welche würzige Beilage wird aus einem faden Rechtsstreit oft eine Delikatesse? Durch eingelegten Widerspruch.
Arbeit: Das Leiden an der Arbeit wird nur noch durch das Leiden an der Arbeitslosigkeit übertroffen.
Auch unter Nihilisten gibt es Puristen. Sie vertreten die reine Leere.
Was ist Feigheit? Am Leben wie an einem Galgen zu hängen, der es beendet, bevor es richtig beginnt.
In Deutschland gibt es gute Lebensversicherungen, aber noch bessere Versicherungen gegen das Leben.
Auch die Gottesvorstellung wurde so lange entmythologisiert, bis nur noch eine blutleere Abstraktion übrig blieb, in der wir uns unmöglich geborgen fühlen können.
Glück: Die wichtigsten Ziele des menschlichen Lebens, das Glück und die Liebe, widerstreben der Dauer. Kaum scheint man sie erobert zu haben, sind sie wieder verloren.
Fortschritt: Viele Fortschrittliche kommen nicht voran, weil sie ständig um den Fortschritt kreisen.
Der Primus entpuppte sich schließlich auch nur als durchschnittlicher Primat.
Neurocartesianismus: Ich denke, also ist mein Gehirn.
Heutige Terroristen sind dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet: Sie töten ohne Ansehung der Person.
Der Hypochonder flüchtete in den Schmerz, um der unerträglichen Leere der Schmerzlosigkeit zu entgehen.
Was ist Heldentum? Die Chance, das Leben, das man nicht gelebt hat, einem hehren Ziel zu opfern.
Friedhof: Ort der Ablenkung vom Tod durch Entwicklung kleingärtnerischer Fähigkeiten.
Man beklage nicht den Verlust von Maß und Mitte in unserer Zeit. Dafür werden wir durch die Herrschaft des Mittelmaßes entschädigt.
Das Dasein des modernen Abendländers vollendet sich im Nachtleben.
Wer dem Los der Zeit durch Zeitlosigkeit entgehen will, wird schnell zum Denkmal seiner selbst.
Zerstreutheit: Sind nicht in Wahrheit die sogenannten Lebenstüchtigen zerstreut, deren Geist sich in der Fülle der Banalitäten des Alltags verlieren kann, weil sie nichts Wesentliches beschäftigt?
Die verbreitete Form der Liebe ist eine Selbstflucht, die wahre Liebe ist eine Selbstüberschreitung.
Kant gilt zu Unrecht als Urheber jener Gesinnungsechtheit, aus der jede Rüpelei heute das Gütesiegel der Authentizität herleitet.
Wortkargheit? Kein Beweis für Gedankenreichtum.
Er haßte es, würdig zu erscheinen. Er konnte jedoch nicht verhindern, gerade deswegen glaubwürdig zu wirken.
Gelassenheit: Gemütsruhe, die nicht der anästhesierenden Wirkung existenzieller Desensibilisierung, sondern einer Gefühlsbeherrschung durch Vernunft geschuldet ist.
Freiheit ohne Ausweg: Auch Nichtwähler sind Wähler. Sie haben gewählt, nicht zur Wahl zu gehen.
Der heilige Zorn, mit dem der Atheist seine Thesen verfocht, verriet seine religiöse Vergangenheit.
Halbe Wahrheiten treten heute gerne im Namen des Ganzheitlichen auf.
Je transparenter alles wird, desto weniger blicken die Menschen durch.
Mancher Stoiker ruht derart in sich, daß man vermuten muß, daß er geistig bereits entschlafen ist.
Wir Heutigen sind überinformierte Ignoranten.
Die veränderte Einstellung zur Seele zeigt sich auch darin, daß für sie immer seltener Seelsorger und immer häufiger Animateure zuständig zu sein scheinen.
Mancher möchte Vordenker sein, um zur geistigen Avantgarde zu gehören, und versäumt dabei das Nachdenken.
Lehrer: Unterschied zwischen Lehrern und Pawlowschen Hunden: Bei den Pädagogen läuft beim Ertönen der Glocke nicht immer das Wasser im Munde zusammen.
Wodurch definiert sich tugendhafte Politik? Sie nimmt politische Gegner gern im Namen der Tugend in Haft.
Er hatte so wenig Licht, daß es keinen Schatten gab, über den er springen konnte.