Paul Keller Zitate
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Wer von allen weiß, wie lange Kindheit dauert? Bei manchen Wesen ist sie früh verloren; bei manchen dauert sie das ganze Leben.
Kinderseele, wer kennt sich aus! Wo hört in dir der Glaube auf, und wo beginnt die zersetzende Kritik, was alles faßt dich mit Wundern der Romantik an, wo suchst du mit scharfem Blick nach der nackten Wahrheit? Und wo ist der große Künstler, der dich, überfeines Gebilde, recht zu behandeln versteht?
Das größte Glück ist die Freude an einem gelungenen Werk, ein Abglanz des erschütternden Titanenjubels, der Gottes Brust durchloht hat, als er im Glanze von Millionen Sonnen die Schöpfung vor sich sah.
Auch Lügen sind Wahrheiten.
Die Schmerzen, die Sorgen, sind Gefährtinnen der Nacht, die Unruhe ist ihre Tochter, trotz aller Stille.
Der Humor hat seine bunte Schalksflagge und pflanzt sie oft neben ganz schweren Ereignissen auf. Über offenen Gräbern gaukeln Falter, in Grabesgesänge schallt Kinderlachen von der Straße. Aber auch der Ernst hat seine Flagge. Die dunkle Fahne mit den mystischen Zeichen unserer Verhängnisse.
Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille.
Die Wahrheit ist zu schwer für uns. Wir lügen oft, weil wir es gut meinen.
Das einzig habe ich bereut: nicht zuweilen Pausen gemacht zu haben; ich wäre den Meinen, mir und den anderen mehr gewesen.
Wer das Leben nur in einem Licht sieht, wem der Wind immer nur aus derselben Richtung weht, soll nichts vom Leben erzählen, denn er kennt es nicht, sei er auch sonst ein Tausendsassa.
Alle Bäume singen anders in der Nacht als am Tage.
Mein Sohn, Arzt zu sein, ist ein schöner Beruf, Lehrer zu sein ein schönerer. Oder meinst du nicht, daß es etwas Größeres sei, eine schlummernde Menschenseele zu schönem Leben zu erwecken, als an einem kranken, gebrestigen Körper herumzuflicken, um ihn noch auf ein Jährlein wetterfest zu machen?
Zweifel macht arm und verödet das Herz; er ist der Bilderstürmer im Dom unserer Seele, dessen Altäre er entkleidet und von dessen Wänden er Glanz und Schönheit nimmt. Was dann übrigbleibt, ist kahle Armut, sind harte nüchterne Trümmer.
Die Frauen, denen das Leben ohne ihre Schuld die Mutterschaft versagte, denen vielleicht der tiefste Lebenswunsch unerfüllt bleibt, sind zu beklagen, wie alle schuldlos Enterbten und Entrechteten.
Demagogisches Wort verhallt bei glücklichem Volke, bei gequälten, siechen Menschen erzeugt es Fieber, Krämpfe und Tollwut.
Die Jugend ist stark, trotzig, rachsüchtig. Zum Teil beruht das auf ihrer Unschuld. Weil sie selbst noch nichts drückt an ernster Schuld, haben sie für die Schuld anderer kein Verständnis.
Wahre Unschuld der Augen ist der größte Liebreiz, den eine Frau haben kann, denn er stellt sie neben die Engel, und die Männer werden bei ihr das Himmelreich suchen.
Heimat ist nicht Raum, Heimat ist nicht Freundschaft, Heimat ist nicht Liebe – Heimat ist Friede.
Wer immer im Lärm sitzt, wird stumpf, wer immer in der Stille sitzt, auch; nur die wechselnde Welle trägt des Menschen Schiff.
Aus harter Kindheit, aus viel eigenem Leid, wenn der Mensch danach geartet ist, kann etwas Köstliches entsprießen; der wahre Humor, der wie das Edelweiß nicht in fettem Boden gedeiht, sondern zwischen rauhen Felsen.
Es ist ja schon wahr: am Kleinen läßt sich’s recht studieren, das Gewaltige, Massenhafte, verwirrt zu leicht, darum wird auch der Mensch, indem er liebevoll zum Kleinen hinabsteigt, selbst groß.
Die scheidende Seele geht am letzten Herbsttag immer zu ihrem Frühling zurück.
Im Strom ist Leben, und wohl ist allen denen, die an der starken Lebensstraße wohnen. Der Strom führt Güter heran und Güter davon, und nur im Wechsel ist Glück. Die aber, die auf einsame Inseln flüchten, müssen versiegen wie Teiche, die ohne Zufluß sind.
Das Menschenherz lenkt auch im glänzendsten Exil seine Sehnsucht nach Hause.
Der Künstler soll seine Kunst reinhalten wie der Geistliche seine Kirche, der Lehrer seine Schule, sonst begeht er auch „ein Verbrechen im Amt“.
Wahr spricht, der das spricht, was er glaubt.
Wenn der Mensch gesund ist und Friede im Herzen hat, kann er schon auf Erden im Vorgarten des Paradieses sein!
Es ist die größte Lust des Lebens, anderen die Last des Lebens zu erleichtern.
Je finsterer es in der Seele des Menschen ist, je dunkler das Leben um ihn sich gestaltet, desto mehr lechzt er nach dem äußeren Licht. Die Augen aller Furcht weiten sich im Dunklen.
Man kann einen starken, edlen Charakter, so wie den Diamanten, oft an einem einzigen Strahle erkennen, der von ihm ausgeht, und das leuchtende Feuer läßt dem verständigen Auge dann keinen Zweifel mehr übrig.
Es ist alles klein und winzig und so gleichgültig. Nur das, worauf die Seele hofft und wohin sie zieht, ist groß und ewig.
Wo der Mensch ein Recht hat, sind Almosen Betrug.
Die Liebe ist der Hunger der Seele. Sie ist da, sie ist wirklich – wie der leibliche Hunger. Und sie schließt ein Bedürfen in sich, ohne dessen Befriedigung der Tod eintritt.
Ach, wie albern sind die Menschen! Und warum sind sie albern? Immer aus Selbstliebe. Immer darum, weil sie zwar mancherlei beurteilen können, nur nicht sich selber. Es gibt keinen einzigen Menschen auf der Welt, der genau weiß, wer er ist.
Die Schicksale der Völker gehen ihren Weg wie die großen Ströme; es ist töricht, unsere paar Hände voll Sand gegen sie zu werfen. Und es ist sündhaft, altes, gläubiges Vertrauen ohne Not niederzureißen. Selbst Gottes Sonne schmilzt ja altes Eis nicht an einem Tag.
Wenn ein schlechter Mensch einmal lächelt, sucht ihn Gott heim.
Das Leben ist mehr als ein ständiger Wechsel, das Leben ist eine Legierung aus Lust und Leid, von Schwarzem und Weißem, allerhand Farben und Mittelstufen. Nichts auf der Welt ist absolut ernst, nichts ist absolut lustig.
Das heilige Mutterland der Erde ist kein Handels- und auch kein Amüsierobjekt; darf nie dazu werden oder alles Volk soll sich gegen die Schacherer oder Tändler erheben – es müssen auch Liebe und treuer Fleiß geboten werden, sonst wehe dem, der sich daran wagt!
Das Weib sucht bei dem Manne, den es liebt, Schutz. Selbst wenn es keinen Schutz bräuchte, würde es solchen suchen, würde sich lieber absichtlich schwächer machen, als daß es der süßen Gabe entbehrte.
Oh, es wäre schlimm, wenn der Mensch keine andere Heimat hätte als das bißchen Dreck, das wir Erde nennen.
Zur Dämmerung sieht auch die Erinnerung am liebsten aus ihrem Grabe auf und tritt zum Menschen und mischt in seinem Herzen alte Freuden und alte Leiden zu sanfter Wehmut. Und das schützende Dunkel verbirgt ihr stilles Walten, auf daß kein müßiges Auge es belausche.
Der rechte Spott kommt aus der leisen Trauer eines gütigen Herzens.
Die Verachtung ist ein graues Kleid, grau wie die Schuld. Es wirkt auf die Ferne, auf die große Menge irreführend, weil es die reine Seele verbirgt.
Die Geschlechterliebe ist die, die am wenigsten Glück auf die Welt bringt. Eine Mutter hat jeder, einen Freund so mancher, eine Liebste selten einer.
Böse Menschen kenne ich fast gar nicht. Es begegnete mir manchmal einer, vor dem ich erschrak und meinte, er sei böse; aber wenn ich ihn genau betrachtete, war er nur ein Unglücklicher.
Einer rechten Mutterliebe ist auch ein fünfzigjähriges Opferleben noch eine Freude und ein Segen.
Fremder Gleichmut ist eines der besten Mittel gegen die Fieber des Lebens.
Was könnte es denn für einen edleren Beruf geben als den, der Lichter anzündet in dunklen Menschenseelen, der schwache Herzen stärkt und kräftigt und der schwankenden Kinderfüßen den Weg zeigt zu ihrem Heile? Keinen, keinen!
Feine, stille Grenzen sind im Menschenland. Und die volle Lebenskameradschaft hat doch ein weiteres Gelände, als die Erbgebiete des Blutes sind.
Die Jungen sind die härtesten und ungerechtesten Richter.