Michel de Montaigne Zitate
seite 8
Was ich nunmehr sein werde, das wird nichts als ein halbes Wesen sein, das werde nicht mehr ich sein. Ich schlüpfe mir täglich durch die Finger und entwische mir selbst.
Was ist das doch für eine niedrige und dumme Bemühung, sein Geld nachzurechnen, es mit Behagen durch die Finger gleiten zu lassen, es nachzuwiegen und immer wieder durchzuzählen. Das ist der Weg, auf dem der Geiz heranschleicht.
Es ist lächerlich und ungerecht, daß der Müßiggang unserer Frauen mit unserem Schweiß bezahlt wird.
Wer den Tod fürchtet, setzt voraus, daß er ihn kennt; ich aber weiß weder, was sein Wesen ist, noch was er in der anderen Welt aus uns macht.
Wer die Menschen sterben lehrt, lehrt sie leben.
Nicht der Mangel, sondern vielmehr der Überfluß gebiert die Habsucht.
Wir wagen es nicht, unsere Glieder mit ihren eigentlichen Namen zu benennen, und benutzen sie ohne weiteres zu allerart nicht sehr anständigen Funktionen.
In den Äußerlichkeiten kann man Dichtung nach Kunstregeln bewerten, aber das Gute, das Höchste, das Gottbegnadete an ihr ist erhaben über Gesetz und Vernunft.
Unser großes und herrliches Meisterwerk ist: richtig leben.
Jedermann ist bereit, seine Gesundheit, seine Ruhe und sein Leben für Ansehen und Ruhm hinzugeben, und was er da als Zahlung erhält, ist doch die unnützeste, die wertloseste, die falscheste Münze, die es gibt.
Es ist doch eine elende Heilmethode, wenn man seine Gesundheit der Krankheit verdankt.
Die Not führt die Menschen zusammen und vereinigt sie. Dieses zufällige Flickwerk nimmt dann gesetzliche Formen an.
Es hat freilich seine Bequemlichkeit, zu befehlen, und wäre es auch nur in einer Scheune, wenn man die Seinigen gehorchen sieht; aber es ist ein langweiliges und einförmiges Vergnügen. Außerdem hat man notwendigerweise viele verdrießliche Gedanken.
Selbst jene, welchen das Alter die körperlichen Kräfte geraubt hat, zittern, wiehern und spreizen sich vor Liebe.
Jede Meinung ist stark genug, um sich der Menschen auf Kosten ihres Lebens zu bemeistern.
Die Gewohnheit hat die Kraft, unser Leben zu formen, und zwar nach ihrem Gutdünken; ihr Einfluß ist grenzenlos; es ist der Zaubertrank der Circe, der unsere Natur in jeder Richtung umzugestalten vermag.
Wenn sie als Ehefrau in seinem Herzen wohnt, so wohnt sie da viel geehrter und sicherer.
Es kommt alleine darauf an, wer der nützlichste, nicht wer der größte Gelehrte ist.
Was weiß ich denn?
Der ist nirgends, der allenthalben ist.
Wie weit uns doch die Eitelkeit der guten Meinung, die wir von uns selbst haben, verleiten kann! Die wohlgeordnetste und vollkommenste Seele der Welt hat genug zu tun, sich aufrecht zu erhalten und sich zu hüten, daß sie nicht aus eigner Schwäche strauchle und falle.
Gleichheit ist eine Hauptstütze der Billigkeit. Und wer hat sich zu beklagen, wenn gleichen Brüdern gleiche Kappen zugeschnitten werden?
Die Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph der Sieger über die Besiegten.
Niemand ist frei davon, Dummheiten zu sagen. Das Unglück ist, sie feierlich vorzubringen.
1998: Montaigne, Michel de: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett.
Wertmäßig ist das Wissen fast indifferent; in mancher Hand ist es ein Zepter, in mancher eine Narrenklapper.
Hier in der Einsamkeit reduziert der Mensch sich auf sich selber.
Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört.
Eine Wahrheit ist nicht deshalb vernünftiger, weil sie alt ist.
Mir ist es klar, daß wir die Pflichten der Religion nur insoferne üben, als deren Dienst unseren Leidenschaften schmeichelt.
Wer mit dem Gericht zu tun hat, ganz gleich, wer es ist, verliert immer dabei.
Wir werden zwar von herrlichen Sprüchen der Weisheit nicht beredter, wohl aber klüger, sie machen uns nicht schön reden, sondern schön behandeln.
Es ist nicht gesagt, daß es nach Zeit und Gelegenheit nicht erlaubt sein sollte, die Dummheiten unserer Feinde nicht ebenso zu benutzen wie ihre Feigheit.
Ein edles Herz verleugnet seine Gesinnung nicht; es ist ihm recht, wenn man ihm bis ins Innere sieht.
Das Unlogische lockt die Frauen.
Nichts anderes ist so schwer und so weitgreifend mit Fehlern belastet wie Gesetze.
Sein Geld verschleudert niemand an andere, jeder aber seine Zeit und sein Leben.
Man wünscht sich selber Glück, wenn man etwas Gutes tut.
Wie die Pflanzen bei zu viel Nässe eingehen und die Lampen bei zu reichlicher Olzufuhr ausgehen, so wird der Geist bei Überanstrengung und Überfütterung aktionsunfähig.
Für den Christen ist es ein Wink zum Glauben, wenn ihm etwas Unglaubliches vorkommt.
Die Ehe ist eine fromme Bindung, die auf Ehrerbietung beruht; die Freuden, die sie gewähren kann, sollten deshalb einen Schleier von Zartheit, Zurückhaltung und Ernst bewahren; der Geschlechtsgenuß sollte etwas von der Verantwortung gedämpft bleiben.
Ich fürchte, die Natur hat dem Menschen selbst einen Zug zur Unmenschlichkeit eingepflanzt.
Es ist Torheit, von unserem Geist die Fähigkeit zu erwarten, daß er beurteilen kann, was wahr und was falsch ist.
Wir tun nichts weiter, als Gehässigkeiten übereinander zu verbreiten.
Man lehrt uns zu leben, wenn das Leben vorüber ist.
Die meisten Menschen vermieten sich; sie verwenden ihre Kräfte nicht für sich, sondern für die, von denen sie sich beherrschen lassen: nicht sie selber sind bei sich zu Hause, sondern ihre Mieter.
Gewöhnlich nehmen wir unsere Fesseln mit.
Alle Bewegung der Welt zielt nach Begattung; es ist allenthalben ausgegossene Materie, ein Mittelpunkt, nach dem alle Strahlen hinzielen.
An dem, was ich an mir selbst erfahren habe, fände ich genug, ein Weiser zu werden, wenn ich nur ein guter Schüler wäre.
Freundschaft kann nicht geknüpft werden, wo die Gleichheit in den Voraussetzungen für den geistigen Austausch fehlt.