Karl Kraus Zitate
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Der Voyeur besteht die Kraftprobe des natürlichen Empfindens: Der Wille, das Weib mit dem Mann zu sehen, überwindet selbst den Widerwillen, den Mann mit dem Weib zu sehen.
Wer außer den Politikern, die sie begehen, beklagt denn die Dummheiten in der Politik? Sind denn die Gescheitheiten in der Politik gescheiter?
Es gehört zum guten Ton, über eine schlechte Tat nicht zu sprechen. Wenn ein Lump dir die Absicht anvertraut, deinen Freund zu verraten, so ist Diskretion Ehrensache.
„Würde“ ist die konditionale Form von dem, was einer ist.
Der Aphorismus deckt sich nie mit der Wahrheit; er ist entweder eine halbe Wahrheit oder anderthalb.
Der Ekel findet mich unerträglich. Aber wir werden erst auseinandergehen, wenn auch ich von ihm genug bekomme.
Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen.
An dem Gang eines Betrunkenen sah ich deutlich, wie ihm der Sonntag auf dem Genick saß.
Ein Gedankenstrich ist zumeist ein Strich durch den Gedanken.
Dreifachem Reim entziehe sich die Welt: dem Reim auf Feld und Geld und Held.
Wie zuckt und zögert, wie dreht sich die Moral in der Wendung: Ein Verhältnis, das nicht ohne Folgen blieb.
Die Impotenz möchte durch ihre Bitte um Bescheidenheit die Leistung verhindern.
Sorrent im August: Ich habe nun zwei Wochen kein deutsches Wort gehört und kein italienisches verstanden. So läßt sich’s mit den Menschen leben, alles geht am Schnürchen und jedes aufreibende Mißverständnis ist ausgeschlossen.
Das Wort hat einen Feind, und das ist der Druck… Ich glaube unbedingt, daß die Schwierigkeiten der großen Schriftsteller Druckfehler sind, die wir nicht mehr zu finden vermögen.
Nichts ist engherziger als Chauvinismus oder Rassenhaß. Mir sind alle Menschen gleich, überall gibt’s Schafsköpfe und für alle habe ich die gleiche Verachtung. Nur keine kleinlichen Vorurteile!
Aber die Sprache des Kampfes steht in einem naturhaften Zusammenhang mit der Wahrheit, und ich spreche es mit der höchsten Achtung vor einer mißbrauchten Menschlichkeit aus, daß sie, wo sie einmal frei ausströmen darf, einer fehlerlosen Sprache fähig ist.
Der Bürger duldet nichts Unverständliches im Haus.
Diese finden jenes, jene dieses schön. Aber sie müssen es „finden“. Suchen will es keiner.
Wie Schönheit zustandekommt – das weiß die Nachbarin. Wie Genie entsteht – das weiß sie auch, die Analyse.
Für den Nachteil des Mannes, nicht immer erhören zu können, wurde er mit der Feinfühligkeit entschädigt, die Unvollkommenheit der Natur in jedem Falle als eine persönliche Schuld zu empfinden.
In Wien stellen sich die Nullen vor den Einser.
Am Ursprung gibts kein Plagiat.
Der Journalist ist vom Termin angeregt. Er schreibt schlechter, wenn er Zeit hat.
Die Funktion der Milz muß ähnlich sein wie die der Notare im Staate: notwendig, aber überflüssig.
Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.
Halte deine Leidenschaften im Zaum, aber hüte dich, deiner Vernunft die Zügel schießen zu lassen.
Das Talent flattert schwerpunktlos in der Welt und gibt dem Haß des Philisters gegen das Genie süße Nahrung.
Der Kommis sagt, ich sei eitel. In der Tat, meine Unsicherheit macht mich eitler als den Kommis seine Position.
Wenn eine Frau ein Genie ist, dann ist sie es höchstens die paar Tage, die eine Frau dafür büßt, daß sie ein Weib ist. All die andere Zeit aber dürfte sie dafür büßen, daß sie ein Weib und ein Genie ist.
Was mich immer tief alteriert hat, das ist die Selbstverständlichkeit, mit der die meisten Menschen ihr Gesicht tragen.
Nichts ist billiger als sittliche Entrüstung.
Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, dass in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hinein wächst.
Es gibt Dinge, die sind so falsch, daß noch nicht einmal das absolute Gegenteil richtig ist.
Seit Heine wird nach dem Leisten: „Ein Talent, doch kein Charakter“ geschustert. Oho, meine Herren, so fein unterscheiden wir nicht! Ein Talent, weil kein Charakter.
Kompilatoren sind Wissenschaftlhuber.
Der Anspruch auf einen Platz an der Sonne ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß sie untergeht, sobald er errungen ist.
In einem geordneten geistigen Haushalt sollte ein paarmal im Jahr ein gründliches Reinemachen vor der Schwelle des Bewußtseins stattfinden.
Wer den Patrioten des andern Landes für einen Lumpen hält, dürfte ein Dummkopf des eigenen sein.
Früher waren die Dekorationen von Pappe und die Schauspieler echt. Jetzt sind die Dekorationen über jeden Zweifel erhaben und die Schauspieler von Pappe.
Als man dieser schnarchenden Gegenwart zurief, daß einer zehn Jahre nicht geschlafen habe, legte sie sich aufs andere Ohr.
Ein Werk der Sprache in eine andere Sprache übersetzt, heißt, dass einer ohne seine Haut über die Grenze kommt und drüben die Tracht des Landes anzieht.